Das Leben gibt Krater

  12.10.2018 Film

«Der Film ist eine Wohler Geschichte», sagt Regisseur Cihan Inan. «Zone Rouge», der 1,7 Millionen Franken kostete, erzählt die Erlebnisse von ehemaligen Schulkollegen, die sich wieder treffen. Die Rückkehr nach Wohlen am 28. Oktober wird für die beiden Brüder unglaublich emotional werden – weil etwas fehlen wird. 

Stefan Sprenger

«Sie hat nur noch über Sex geredet. Sie fluchte und war harsch. Unglaublich. Zu Schulzeiten war sie so was von brav und anständig. Und nun komplett anders. Vom Mauerblümchen zur Rockerbraut.» Cihan Inan erzählt gerade von einem Treffen seiner alten Klasse an der Kanti Wohlen. Das war im Jahr 2003. Die beschriebene Ex-Klassenkollegin habe sich enorm verändert – sie war nur eine von vielen spannenden Geschichten und Gestalten an jenem Abend. «Das Klassentreffen damals ist mir ziemlich eingefahren.» So heftig, dass diese Zusammenkunft die Basis ist für sein neues Werk «Zone Rouge».

Bis 2021 Schauspieldirektor am Theater Bern

Bart. Brille. Breites Lachen. Cihan Inan sitzt im Kornhaus-Café in Bern. Daneben das Theater. Dort ist er seit über einem Jahr Schauspieldirektor. Und er wird es noch bis 2021 bleiben. Das Theater Bern hat 550 Mitarbeiter und sieben Geschäftsleiter – Inan ist einer davon. Wie er die Zeit und den Mut findet, um trotz intensivem Job quasi nebenbei noch eigene Projekte zu kreieren, das bleibt sein Geheimnis. Cihan Inan ist 49 Jahre alt. Mit seiner Ex-Frau hat er einen 10-jährigen Sohn. Finnigan heisst er und lebt bei ihm in Bern. Nach «180 Grad – Wenn deine Welt Kopf steht» ist «Zone Rouge» der zweite Lang-Spielfilm von Cihan Inan. Und es ist ein besonderes Werk. 

Es braucht viel Konzentration

Der Autor dieses Textes schaute sich den Film im «Arthouse»-Kino Zürich an – anlässlich des Zürich Film Festi- vals. Die Stimmung im Saal war ru- hig und gespannt. Oft schien es, als sei der Kinobesucher gefangen in je- nem Moment, kurz bevor ein Schachspieler seinen Konkurrenten «Schach matt» setzt. «Ich verlange Aufmerksamkeit und will nicht alles erklären», sagt Cihan Inan.

Der Film spielt in einer Nacht, und nur an einem Ort. Es wird viel geredet. Verpasst man einen Satz, kann es sein, dass einem ein Puzzlestück in der komplexen – aber intelligenten – Geschichte fehlt. Regisseur Inan beschreibt es so: «Es sind viele Einzelheiten, die etwas Grosses ergeben. Alles hängt zusammen.» Einfach ist die Erzählweise nicht. Man muss konzentriert zuhören, zusehen – während 90 Minuten. Es ist eine andere Art des Filmemachens. Und des Filmeschauens. Das Genre von «Zone Rouge» heisst wohl: Dialog-Thriller. 

Das Ende kommt wie ein Dampfhammer

«Zone Rouge» hat zu Beginn einige Lacher. Je länger die Nacht dauert und je mehr der Tag anbricht, desto mehr zeigt die Natur rund um das Haus ihre Schönheit – und die Charaktere ihre hässliche Seite. Das Ende – und so viel sei verraten – kommt absolut unerwartet und darf durchaus als «krass« bezeichnet werden. Es kommt wie ein Dampfhammer.

«Zone Rouge» – er ist besonders. Und wenn man den Kinosaal verlässt, dann geht der Film weiter. Nämlich im eigenen Kopf. Er regt zum Weiterdenken an. «Und das wollte ich so», meint Inan. Die komplexe und unübliche Erzählweise macht «Zone Rouge» zu etwas Besonderem – und gleichzeitig ist es fast sicher, dass es kein Blockbuster wird. Dafür ist der Film viel zu verstrickt. 

Erwähnenswert ist auch die hervorragende Filmmusik. Gedreht wurde während 18 Tagen. In einem Haus in Muri bei Bern. Die Anfangs- und die Schlussszene spielen in einem märchenhaften Mohnfeld. In seinem Kopf hatte Inan dieses Mohnfeld schon, als er das Drehbuch schrieb, gefunden wurde es in Bologna in Italien. 

Als die Mutter starb

«Zone Rouge» kostete 1,7 Millionen Franken. Sieben Jahre dauerte die Umsetzung. Nach wenigen Drehtagen ereilte die Familie Inan ein Schicksalsschlag. Mutter Saadet starb. Und dies wenige Jahre, nachdem Vater Hasan gestorben war. Über 60 Jahre waren die Eltern zusammen. «Das war hart. Sehr hart», sagt Cihan Inan. Sein Lächeln verschwindet für einige Sekunden. Er blickt über den Kornhausplatz in Bern, hält die Kaffeetasse mit beiden Händen. Und erinnert sich an den Herbst 2010. Damals fand im Kino Rex in Wohlen die Premiere seines Erstlingswerks «180 Grad» statt. Die Eltern – die in Wohlen lebten – waren dabei und enorm stolz. Sie hätten am liebsten der ganzen Welt gesagt, wie toll Cihan Regie führte, wie grandios der andere Sohn Kaya den Film zusammenschnitt, wie grossartig sie den Film finden. Als «sehr schöne Erinnerung», beschreibt er den Tag, als sie gemeinsam mit den Eltern den Film in Wohlen zeigten. Der Artikel, der damals in dieser Zeitung erschien, wurde eingerahmt und hing bis zum Tod der Mutter bei ihr zu Hause. «Wenn wir am 28. Oktober wieder in Wohlen sind, wird es anders sein», sagt Cihan Inan. Der riesige Stolz der Eltern  wird fehlen. «Sie schauen vom Himmel aus zu.» Das Leben gibt Krater. «Doch sie werden wieder verschlossen.» Ein Thema, das auch in «Zone Rouge» vorkommt. 

Kaya ist jetzt Papi

In «Zone Rouge» ist ein Bild, das an der Wand hängt, ein immer wiederkehrendes Element. Am Ende ver- schwindet das Bild und ein neues erscheint. «Der Kreislauf des Lebens», nennt dies Cihan Inan. Dieser Kreislauf hat auch bei ihnen stattgefunden. Bruder Kaya, der den Film geschnitten hat, wurde vor wenigen Tagen zum ersten Mal Vater. Louis, heisst der Sohn. Hasan sein zweiter Vorname. Zu Ehren des verstorbenen Vaters. Das Leben macht Krater. Und sie werden wieder verschlossen. Freud und Leid – Tod und neues Leben – sie sind manchmal sehr nahe beieinander. Eben: «Der Kreislauf des Lebens». Der Film «Zone Rouge». Am Ende des Films steht: «In Erinnerung an Saadet und Hasan». Cihan Inan hat den Film seinen zu früh verstorbenen Eltern gewidmet.

Kinostart ist am 1. November. Am Sonntag, 28. Oktober, um 11 Uhr wird «Zone Rouge» als exklusive Vorpremiere und in Anwesenheit von Cihan und Kaya Inan im Wohler Kino Rex gezeigt. 


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