† Lydia Widmer-Villiger, Sarmenstorf
04.09.2018 NachrufeSchon vor vielen Jahren hast du, liebe Mama, deinen Lebenslauf verfasst, mit den wichtigsten Ereignissen aus deinem Leben, wovon du uns berichten wol ltest. Gerne möchte ich an deiner Stelle dein Leben nochmals in Erinnerung rufen:
Am 27. März 1925 wurdest du in Oberwil bei ...
Schon vor vielen Jahren hast du, liebe Mama, deinen Lebenslauf verfasst, mit den wichtigsten Ereignissen aus deinem Leben, wovon du uns berichten wol ltest. Gerne möchte ich an deiner Stelle dein Leben nochmals in Erinnerung rufen:
Am 27. März 1925 wurdest du in Oberwil bei Bremgarten geboren, wo deine Grosseltern zusammen mit deinen Eltern einen Bauernhof betrieben. In deiner frühen Kindheit haben sich deine Eltern selbstständig gemacht und sind nach Bünzen umgezogen, in eine grosse Liegenschaft mit Lebensmittelladen im Parterre. Als älteste Tochter von sechs Kindern hast du, neben der Schule, tüchtig im Haushalt und Verkaufsladen mitgeholfen. Arbeitsreich war deine Jugend, trotzdem war es für dich eine sehr schöne und fröhliche Jugendzeit. Es wurde viel gelacht und gesungen in der Familie; zum Teil sogar zweistimmig. So erklärt sich wohl auch der langjährige gute Zusammenhalt und die regelmässigen Kontakte unter deinen Geschwistern. Sie reichten bis in die USA zu deinem jüngsten Bruder «Seppi», welchen du zusammen mit deiner Schwester Anni dreimal besuchen durftest, erstmals 1967. Auf dem Rückflug habt ihr zwei unternehmungslustige Frauen an der Weltausstellung in Montreal einen Zwischenhalt eingelegt.
Jetzt blende ich wieder zurück in deine Jugendzeit: Im Kriegsjahr 1940 wurde Mama aus der Schule entlassen. Damals waren fleissige Haushalthilfen gesucht. So trat Mama eine Stelle in einer jüdischen Familie in Brugg, später in Zürich, an. Hier wurde ihr viel Vertrauen geschenkt, und sie entwickelte sich dadurch zu einer selbstständigen jungen Frau, wie sie selber geschrieben hat. Oft erzählte uns Mama aus dieser Zeit, von den Bräuchen und Riten im Judentum und den religiösen Gebräuchen in der jüdischen Familie. Das war für uns Kinder sehr interessant, und ich bin überzeugt, dass unsere Mutter durch die Einsicht in eine andere Kultur etwas an Weltoffenheit gewonnen hat. Die späteren Besuche der Familie Levi in Sarmenstorf bezeugten uns die Wertschätzung, welche du über die Haushaltjahre hinaus genossen hast.
Nach dem Kriegsende 1945 zog es unsere Mutter wieder in ihr Heimatdorf Bünzen zurück. In Dottikon fand sie eine Anstellung in der Grossküche der heutigen Ems-Chemie, damals schon ein bedeutender Arbeitgeber im Freiamt und unter dem Namen «Schweizerische Sprengstofffabrik» oder im Volksmund als «Pulveri» bekannt. An dieser Tätigkeit gefielen unserer Mutter die täglichen Kontakte zur Arbeiterschaft und nebenbei das Singen bei der Arbeit sowie im Firmenchor.
In einem Zimmer unseres Elternhauses an der Hilfikerstrasse hängt ein grosses Foto von dir. Es zeigt dich als junge Lydia Villiger: Eine wunderschöne Frau mit fröhlicher Ausstrahlung, was unserem späteren Vater – Josef Widmer – nicht entging. Unser «Baba» war in Sarmenstorf «Gemeindekassier» und «Kirchengutsverwalter». An manchen Samstagen erledigte er die Buchhaltung einer kleinen Firma in Bünzen, dort wo er dich kennenlernte. – Unsere Eltern heirateten im Jahre 1948. Dann, ab 1950, hat Mama nach und nach sieben Kindern das Leben geschenkt.
Schon früh wurde die junge Familie Widmer durch Krankheiten, Geburtsgebrechen und Todesfälle geprüft. So starb eines der Kinder zirka drei Monate nach seiner Geburt. In den späten 60er-Jahren erkrankte unser Vater – wie zwei seiner Geschwister – an Angina Pectoris. Das bedeutete für dich, jahrelanges Bangen um den Ehemann und um deine Kinder. Im Sommer 1971 starb unser Vater an einem Herzinfarkt, nur sieben Monate später starb unser Bruder Roland an Leukämie. Jahre später mussten wir auch von Daniel und vor zehn Jahren von André Abschied nehmen.
In ihrem Lebenslauf schreibt Mama von ihren Schicksalsschlägen. – Wie sollte sie diese ertragen, wenn nicht aus der Kraft ihres gelebten Glaubens und dem Vertrauen auf die Fürsprache Mariens? Darum fuhr sie mehrmals mit dem Pilgerzug nach Lourdes. Dort konnte sie ihre Schmerzen ablegen und neuen Lebensmut für den Alltag fassen. – In ihrer Bescheidenheit jammerte sie nie, sondern trug ihre Sorgen in ihrem Herzen zur Mutter Gottes. – Mut machten ihr auch die Zusagen einiger Chauffeure, welche so oft für Fahrten mit unseren kranken Geschwistern zur Verfügung standen, bevor wir Angehörigen diese Dienste selber übernehmen konnten.
Soziales Engagement und Ablenkung fand Mama als aktives Mitglied im Samariter- und Frauenverein und auch im KAB, der «Kath. Arbeiterbewegung». Im KAB durfte sie das Ehrenamt der Fahnengotte im Jahre 1962 bekleiden. Später wurde sie als Kassierin in den Vorstand gewählt.
Mit dem allmählichen Wegzug von uns Kindern wurde es stiller im Elternhaus. Deshalb suchte und fand Mama Beschäftigung in der Lingerie des neu erstellten Altersheimes «Eichireben» sowie in einem Privathaushalt. Diese Aufgaben übernahm sie sehr gerne, fleissig und zuverlässig, wie es eben ihrem Charakter entsprach. Eine grosse Freude war es ihr auch, dass sie sich nun gelegentlich eine Carreise oder Ferien leisten konnte.
Mamas Leben war stets geprägt von Dankbarkeit: Dankbarkeit gegenüber allen Menschen, welche ihr beistanden, den genannten Chauffeuren und vielen anderen, bis zuletzt auch dem Personal im Altersheim, wo sie nach einem Oberschenkelhalsbruch die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte.
Im Namen von uns Angehörigen drücke auch ich meine Dankbarkeit der grossen Trauergemeinde aus, welche uns und unsere Mutter bei dem letzten Gang begleitet hat. Es ist uns ein tröstliches Zeichen der Anteilnahme.
Wenn uns der Tod unserer Mutter auch schmerzlich berührt, so sind wir doch dankbar, dass sie nur wenige Tage leiden musste. Sie durfte ganz friedlich sterben, im Vertrauen auf Gott, und gestärkt durch die Krankensalbung.
Schöner als in ihrem Lebenslauf kann man das Leben unserer Mama nicht zusammenfassen. Sie schreibt:
«Trotz meinen vielen Schicksalsschlägen bin ich ein zufriedener und gläubiger Mensch geblieben.»