Arbeit ist der Schlüssel
14.09.2018 ArbeitAsylsuchende in Bremgarten: eine Momentaufnahme
Eine achtköpfige irakische Familie in der Wohnung im Fuchsäcker und elf Flüchtlinge im Haberhaus beschäftigen den Sozialdienst und die Begleitgruppe Asyl aktuell. Es funktioniert deutlich ...
Asylsuchende in Bremgarten: eine Momentaufnahme
Eine achtköpfige irakische Familie in der Wohnung im Fuchsäcker und elf Flüchtlinge im Haberhaus beschäftigen den Sozialdienst und die Begleitgruppe Asyl aktuell. Es funktioniert deutlich reibungsloser als erwartet.
Lis Glavas
Vier Mitglieder der Begleitgruppen berichteten über ihre bisherigen Erfahrungen, die sehr positiv sind. Stadtrat Theo Rau präsidiert die Gruppe, die reformierte Pfarrerin Corinne Dobler vertritt die christlichen Kirchen, die weiteren Mitglieder sind Erwin Wagenhofer, Stefan Dietrich, Erika Basin Bosshard, Rosemarie Schläpfer, Repol-Chef Manfred Tschannen und Dario Wüthrich von der Firma AOZ. Claudia Geissmann vom städtischen Sozialdienst führt das Protokoll. Sie erklärte: «Die Zusammenarbeit mit der AOZ als Betreuungsfirma (Wohncoaching, Sozialbetreuung) hat sich bewährt. Der Sozialdienst fungiert als Schnittstelle zum Kanton und klärt alle finanziellen Fragen wie Auszahlungen an Asylsuchende, Spezialfinanzierungen, Kostenübernahmen für Integrationsangebote.»
Familie auf sehr gutem Weg
Zuerst zog die irakische Familie in die Wohnung im Fuchsäcker, Vater und Mutter mit fünf Kindern und der Bruder des Vaters. Später bezogen 14 junge Männer ihre Unterkunft im Haberhaus am Rathausplatz. 11 sind noch da. «Zwei hätten gar nicht zu uns geschickt werden müssen», erklärte Theo Rau, «sie befanden sich bereits im Arbeitsvertragsprozess und gingen bald. Dem Jüngsten – die Männer sind zwischen 20 und 28 Jahre alt – gefiel das Regime hier nicht. Er zog zu einem Kollegen in den Kanton Zürich. Wir meldeten das in Aarau, womit es für uns erledigt war.»
Erwin Wagenhofer nahm den Kontakt zur Familie auf. Er erlebte sie als sehr gastfreundlich und integrationswillig. «Im Gespräch wurde schnell klar, wie wichtig es den Männern war, Arbeit zu finden.» Da er noch Kontakte aus seiner 23-jährigen Tätigkeit in der Firma Utz hat, sprach er bei der Personalverantwortlichen Corinne Bütler vor. «Sie und der Fabrikationsleiter Andreas Schlegel, der Mitglied der Geschäftsleitung ist, sind sehr kooperativ. Doch so einfach ist es nicht. Utz ist darauf angewiesen, dass die Angestellten volle Schichten leisten. Regelmässige Besuche von Deutschkursen sind damit kaum möglich.» Genügend Sprachkenntnisse sind allerdings auch Voraussetzung für ein gelingendes Arbeitsverhältnis.
Die aktuelle Situation der Familie beschreibt Claudia Geissmann so: «Für den Familienvater laufen momentan Abklärungen bei der Firma Utz. Vorher war er im Wendepunkt in Wettingen in einem Arbeitsintegrationsprogramm. Das Ziel: Verbesserung der Deutschkenntnisse und Arbeitseinsatz intern in der spezialisierten Institution, um sich baldmöglichst im Schweizer Arbeitsmarkt zurechtzufinden. Der älteste Sohn hat im August eine dreijährige Lehre als Coiffeur EBA begonnen. Der zweitälteste Sohn absolviert im Schuljahr 2018/19 bei der Kantonalen Schule für Berufsbildung ein Brückenangebot Integration mit dem Ziel, im August 2019 eine Lehre beginnen zu können. Die drei jüngeren Kinder sind in den Bremgarter Schulen und in Vereinen (FC und Kinderturnen) gut integriert. In schulischen Fragen und beim Austausch mit Lehrpersonen wird die Familie aktiv von der AOZ unterstützt. Der Onkel konnte Mitte Juni eine Vollzeitstelle bei einem Fleischverarbeitungsbetrieb im Kanton Luzern antreten. Er ist mit seinem Einkommen seit August finanziell selbstständig und bezahlt seinen Mietanteil für die Wohnung.»
Diese erfreuliche Entwicklung setzte einiges an Sprachkenntnis und Integrationsbereitschaft voraus. Diese Bereitschaft unterstreicht auch die Mutter. Zu einem Begrüssungsapéro, den die Begleitgruppe für alle Asylsuchenden beim Rathausbrunnen organisiert hatte, brachte sie Süssgebäck und gefüllte Weinblätter mit. «Kürzlich kochte sie ein Essen für unsere Gottesdienstbesucher», erzählte Corinne Dobler begeistert.
Dürftige Bewerbungsunterlagen
«Bei der Vorstellungsrunde anlässlich dieses Apéros stellten wir fest, dass auch die Männer im Haberhaus mehrheitlich recht gute Deutschkenntnisse haben», sagte Theo Rau. Und grosses Interesse, sich in der Stadt zurechtzufinden. Rosemarie Schläpfer und Erika Basin hatten vorgeschlagen, sie auf einem Stadtrundgang zu informieren. Das sei nicht nötig, meinten sie, sie könnten sich bereits gut orientieren.
«Der Schlüssel zur Integration bleibt die Arbeit», unterstrich Stefan Dietrich. Er beschäftigt sich mit Bewerbungsunterlagen, die sehr dürftig ausfallen. In den Lebensläufen sind wenig greifbare Leistungen zu verzeichnen. Sehr hilfreich wären Beziehungen, wie sie Erwin Wagenhofer nutzte; Türöffner, welche die Männer auf der Arbeitssuche begleiten. Immerhin sind alle während eines halben Tages mit unterschiedlichen Integrationsmassnahmen beschäftigt.
Taler und ein Stück Garten
Integration beinhaltet auch Teilnahme am öffentlichen Leben. Die Asylsuchenden sollen für einen Besuch am Markt der Vielfalt Taler des historischen Handwerks bekommen, um sich etwas kaufen zu können. Corinne Dobler erzählte von einem weiteren Vorhaben, das Erika Basin ins Rollen brachte. Auf der Wiese hinter dem reformierten Kirchgemeindehaus sollen die Flüchtlinge einen kleinen Garten schaffen und bewirtschaften können. «Die Kirchenpflege bewilligte das unter Bedingungen. Unter anderem müssen Freiwillige zur Unterstützung gefunden werden und unentgeltliche Gartengeräte.»
Es bleibt die Frage nach Problemen mit der Nachbarschaft und der Polizei. Kürzlich liess sich Theo Rau von Manfred Tschannen ein weiteres Mal bestätigen, dass die Polizei diesbezüglich keine Arbeit hat. «Es sind Kleinigkeiten, die im Gespräch mit der Nachbarschaft zu erledigen sind», schmunzelte Erwin Wagenhofer und erzählte dieses Beispiel. «Die Mutter wusch im Fuchsäcker an einem Sonntag und hängte mangels Kleiderständer etwas Wäsche über den Gartenhag. Nach Reklamationen folgte ein klärendes Gespräch und das Angebot einer Mitbewohnerin. Sie hatte einen Stewi zu verschenken, der dankbar angenommen wurde.»
Vorläufig Aufgenommene
Nach der Schliessung des Bundesasylzentrums vor gut einem Jahr sah sich die Stadt mit einer Aufnahmequote von 39 Asylsuchenden konfrontiert. 14 Personen sind seit mehreren Jahren in Bremgarten ansässig, sind aber selbstständig und beschäftigen die Behörden nicht. Somit blieb ein Aufnahmesoll von 25 Personen. Eine achtköpfige irakische Familie zog in eine Wohnung der Überbauung Fuchsäcker. Die ehemaligen Spitex-Räume konnte die Einwohnergemeinde von der Ortsbürgergemeinde mieten und zweckmässig umbauen lassen. Auch das Haberhaus am Rathausplatz gehört den Ortsbürgern. Die mit dem Auszug der Kantonspolizei frei gewordenen Räume überliess die Ortsbürgergemeinde der Stadt ebenfalls zu Miete und Umbau. Im Haberhaus leben momentan 11 junge Männer, in der Mehrzahl Afghanen, zudem Syrer, Iraker und Somalier.
Laut der im Sozialdienst Bremgarten zuständigen Claudia Geissmann sind die Aufgenommenen formell Asylsuchende mit Ausweis F (vorläufig aufgenommene Ausländer), der ihnen erlaubt zu arbeiten. «Die Stadt Bremgarten hat dem kantonalen Sozialdienst Anfang Juli mitgeteilt, dass sie die von Regierungsrätin Franziska Roth Ende März den Gemeinden in Aussicht gestellte Überprüfung der Zuweisungsquoten abwartet, bevor sie weitere Personen aufnehmen wird», erklärt Claudia Geissmann. Die Quote werde mit grosser Wahrscheinlichkeit sinkend sein. «Eine Antwort des kantonalen Sozialdienstes oder aktuelle Informationen, ob und wann der Kanton über die Anpassung der Zuweisungsquoten informiert, liegen uns nicht vor.»
«Es hat sich gelohnt» bilanziert sie, «nach der Schliessung des Bundeszentrums die Aufnahme der Asylsuchenden in den Unterkünften Fuchsäcker und Haberhaus gut vorzubereiten, mit dem Kanton abzusprechen und gegenüber der Bevölkerung offen zu kommunizieren.» --gla