Heimwärts wie auf Schienen
27.07.2018 MutschellenSommerserie «Wenn es Nacht wird»: Unterwegs im Nachtbus N 31 mit Chauffeur Nuno Alves Soares
Der Bahnhofplatz in Dietikon ist hell beleuchtet. Nur wenige Menschen sind auszumachen. Vom Bistro her sind ein paar Lacher von den letzten Gästen zu hören. Ich ...
Sommerserie «Wenn es Nacht wird»: Unterwegs im Nachtbus N 31 mit Chauffeur Nuno Alves Soares
Der Bahnhofplatz in Dietikon ist hell beleuchtet. Nur wenige Menschen sind auszumachen. Vom Bistro her sind ein paar Lacher von den letzten Gästen zu hören. Ich warte auf den Nachtbus, der mich nach Hause bringen wird. Plötzlich zerreissen Sirenen
Erika Obrist
die Stille. Feuerwehr und Sanität fahren zum Bezirksgebäude. Halten dort. Zwischen den rotierenden Blaulichtern taucht ein Bus auf. Nähert sich dem Bahnhof. «N 31 Oberwil-Lieli» ist er angeschrieben. Mein blauweisses Heimgehtaxi für einen Billettaufpreis von fünf Franken. Nachtzuschlag nennt sich das.
Chauffeur Nuno Alves Soares stellt den Bus an der Kante E ab und nimmt den Billettautomaten in Betrieb. Will ihn in Betrieb nehmen. Er funktioniert nicht. «Das kriegen wir hin», sagt der Kollege, der Pikettdienst hat und bei der Inbetriebnahme hilft. Sie kriegen es hin.
Buch führen über Passagiere
Der Zug aus Zürich ist angekommen. Die Unterführung spuckt Menschen aus. «Geht dieser Bus nach Bremgarten?», wird Alves mehrmals gefragt. «Nein, nach Oberwil-Lieli», sagt der Chauffeur und zeigt den Fragenden, welches Fahrzeug für sie wo bereitsteht.
In Richtung Oberwil-Lieli wollen um 1.25 Uhr nur drei Fahrgäste. Mich eingeschlossen. «Grüezi mitenand», heisst Alves sie willkommen und fährt los. Pilotiert das schwere Fahrzeug sicher durch die Innenstadt. Bald geht es steil aufwärts. Eingangs Bergdietikon steigt eine Frau aus. Alves registriert das mit einem Strich auf einem Blatt. «Ja, wir führen Buch über die Anzahl Passagiere und wo sie aussteigen», beantwortet er meine Frage.
«Ich fahre diese Linie heute zum ersten Mal», erzählt der 37-Jährige, der in Dietikon mit Vater, Bruder und Schwester wohnt und für die Limmatbus AG fährt. Am Vortag war er auf der Nachtbuslinie N 32 nach Bremgarten, Wohlen und Sarmenstorf im Einsatz. «Die Passagiere sind angenehm. Ruhig.» Nur auf der ersten Tour habe einer reklamiert. «Der erste Nachtbus fährt nur bis Villmergen. Auf der SBB-App aber ist angegeben, dass er bis Sarmenstorf verkehrt.» Das dem ungehaltenen Passagier klarzumachen sei nicht einfach gewesen wegen seiner beschränkten Deutschkenntnisse.
Früher Touristen chauffiert
Während Alves den Bus sicher hinauf nach Kindhausen steuert und dann zurück nach Bergdietikon und weiter nach Widen, erzählt der Chauffeur, dass er aus Portugal stammt. Dort hat er ein Bauingenieurstudium angefangen, aber nicht abgeschlossen. «Ich habe gemerkt, dass es nicht das Richtige ist für mich.» Er hat in der Schreinerei seines Vaters gearbeitet und sämtliche Fahrausweise erworben, die es braucht, um Fernbusse lenken zu dürfen. Das hat er dann auch gemacht: Touristen herumgefahren. «Dabei musste ich hauptsächlich Englisch sprechen.»
Das Scheinwerferlicht macht einen kleinen Streifen Nacht zum Tag. Nur ganz selten kommt ein Auto entgegen. Zwei Taxis kreuzen den Bus bis Widen. Sonst liegt der Mutschellen in tiefem Schlaf. Die Frau, die bis Berikon fährt, will nicht mit mir reden. Sie hat nur ein Ziel: nach Hause. Dieses ist kurz vor der Kreuzung erreicht. «Gute Nacht» sind die einzigen Worte, die sie von sich gibt.
Ausser mir ist niemand mehr im Bus. Kann er jetzt nicht auf direktem Weg zurück nach Dietikon? Dort vielleicht eine kleine Pause einlegen, einen Kaffee trinken? «Nein, ich muss die ganze vorgesehene Strecke fahren.» Also weiter in Richtung Oberwil-Lieli. Alves hält sich nicht für einen Formel-1-Piloten; übermässiges Beschleunigen nach den Kurven und abruptes Bremsen sind nicht sein Ding. Fast wie auf Schienen brummt der Bus dem Holzbirrliberg zu.
Abzweigung verpasst
Seit Juni ist Alves bei der Limmatbus AG angestellt. Er fährt alle Linien, die von Dietikon aus abgehen. Und den Nachtbus. «Ich habe keine Mühe, bis in den Morgen hinein zu fahren», versichert er. Er könne danach ja ausgiebig schlafen. Damit er sich besser mit den Fahrgästen verständigen kann, besucht er einen Deutschkurs. Bezüglich Sprachkenntnissen stellt er sein Licht etwas unter den Scheffel: Er sucht zwar hin und wieder nach einem Wort, aber ich kann mich sehr gut mit ihm unterhalten.
Mit dem Fahrer sollte man ja nicht sprechen während der Fahrt. Prompt verpasst Alves in Oberwil die Abzweigung nach Lieli. Meine Schuld. Gewendet ist das grosse Fahrzeug rasch. Kurz vor der Endstation Englisächer ein kurzer Schreckmoment: Eine Katze rennt vor dem Bus her, nach ein paar Sekunden verschwindet sie mit einem Satz in einem Garten. Jetzt hat Alves doch etwas hart bremsen müssen.
«Die meisten sind anständig»
«Ich fahre gern. Auch nachts», erzählt Alves auf der Rückfahrt nach Dietikon. Diese erfolgt auf der Autobahn via Urdorf-Nord. Reklamationen wegen des Nachtzuschlags habe er bisher nicht hinnehmen müssen. «Wir kontrollieren nicht, ob die Passiere Billette haben, wir verkaufen lediglich welche.» Auch tagsüber sei dem so. Für die Kontrolle sind andere zuständig.
Zurück am Bahnhof Dietikon bleibt kaum Zeit für eine kurze Pause. Die nächsten Passagiere warten bereits auf den N 31. Diesmal werden acht Nachtschwärmer von Alves sicher nach Hause chauffiert. «Die meisten Fahrgäste verhalten sich anständig im Bus.» Tagsüber und nachts? Alves nickt. Ist er jetzt einfach höflich? «Es ist wie überall im Leben», gibt er sich einen Ruck, «nicht alle sind respektvoll.» Sagts, startet den Motor und begibt sich auf die zweite Tour in dieser Nacht.