Bald in Pension
22.06.2018 PorträtEr ist in Wohlen aufgewachsen, wo er auch lange wohnte. Lehrer Kurt Weber stand 44 Jahre im Schuldienst Bremgartens. Und seit letztem Jahr wohnt er endlich im Städtchen, das ihn immer faszinierte, wo er seinen Beruf lebte und ein wertvolles Beziehungsnetz aufbaute. --gla
Er ist in Wohlen aufgewachsen, wo er auch lange wohnte. Lehrer Kurt Weber stand 44 Jahre im Schuldienst Bremgartens. Und seit letztem Jahr wohnt er endlich im Städtchen, das ihn immer faszinierte, wo er seinen Beruf lebte und ein wertvolles Beziehungsnetz aufbaute. --gla
Es ist Berufung geblieben
Pensionierung: Kurt Weber unterrichtete 44 Jahre an der Schule Bremgarten
Berufung, passende Bedingungen und viel Eigeninitiative liessen Kurt Weber den Weg dieser aussergewöhnlichen Lehrerkarriere gehen. Sein Rezept: «Ich liess es nie zur Routine werden.»
Lis Glavas
Nein, geträumt hat Kurt Weber als Jugendlicher nicht von 45 Lehrerjahren. Pilot hätte er werden wollen. Kerosingeruch euphorisiert ihn. Reiseleitung hätte auch gepasst. Doch es kam zum «Verlegenheitsjob», wie er sich lachend ausdrückt. Aber immerhin: In der fliegerischen Vorschulung brachte er es zum Segelflugpiloten, und gegen das Reisefieber fand er andere Mittel.
Jungen Menschen die Welt zeigen
Er wuchs in Wohlen auf, wo 1966 eine Zweigstelle des Lehrerseminars Wettingen eröffnet wurde. «Meine besten Kollegen gingen hin, warum also nicht auch ich?» Als 21-Jähriger übernahm er in Bremgarten seine erste Klasse mit 40 Schülerinnen und Schülern. Er könnte bereits pensioniert sein. Doch er wollte seine letzte Klasse, die Sek 2, bis zum Schuljahresende begleiten. Das entspricht seinem Verantwortungsbewusstsein. Er beharrte immer darauf, Klassenlehrer zu bleiben, die Verantwortung zu tragen.
Die Tage lassen sich jetzt an beiden Händen abzählen, bis Kurt Weber nach über 45 Jahren im Schuldienst und über 44 Jahren als Lehrer in Bremgarten seinen «Verlegenheitsjob» beendet. Die Differenz ergab sich durch einen unbezahlten Urlaub. Mitte der 80er-Jahre absolvierte er die Sekundarlehrerausbildung und erwarb das Französischpatent in Neuchâtel und Paris.
Jetzt steht noch die zweitägige Abschlussreise mit der Klasse an, ein Besuch der UNO in Genf und eine Wanderung im Jura. Ein letztes Mal will er jungen Menschen den Kontrastreichtum der Welt vor Augen führen. Seine Lieblingsfächer Geografie, Geschichte und Sprachen und seine Reiselust prägten seine Unterrichtsstrategie. «Mein Motto war stets: Die Schule spielt sich draussen ab.» Er reizte die Möglichkeiten aus, die das Schulsystem hergab. Zeigte seinen Schülern in Spezialwochen und auf unzähligen Exkursionen, wie und wo sich das Leben abspielt, wie die Welt funktioniert.
Absprunggefahr bestand nie
Lange war Kurt Weber Allrounder für alle patentierten Fächer, von Musik bis Werken, Turnen bis Zeichnen, Informatik bis Buchhaltung, Staatsund Wirtschaftskunde, Musik, Religion, Geschichte, Geografie, Biologie, Physik, Chemie und Tastaturschreiben. In London und in Bournemouth studierte er für das Englisch-Zusatzpatent. Nebst seinem Vollpensum an der Volksschule erteilte er Französisch und Turnen am KV, Allgemeinbildung an der Gewerbeschule Wohlen und an der Landwirtschaftlichen Schule in Muri. Als Beispiele für weitere «Nebenjobs» nennt er die Tätigkeit als Rektor, als Praxislehrer – er hatte über 20 Junglehrer unter seinen Fittichen –, als Delegierter des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, als Mitglied der Badkommission und als Informatikverantwortlicher.
«Nein, einen Durchhänger hatte ich nie, die Gefahr eines Burnouts stellte sich auch nie ein», erklärt er. Einen Absprung vom Lehrerberuf zog er nie in Betracht. Dabei mag mitgespielt haben, dass er verheiratet war, einen Sohn hat und sich an die Region gebunden fühlte. Auch der Wechsel an eine andere Schule stand nie zur Debatte. «Den Bremgarter Behörden muss ich ein Kränzchen winden. Sie pflegen und fördern die Schule sehr und stellen auch immer wieder die nötigen finanziellen Ressourcen zur Verfügung. Und eine bessere Psychohygiene als die hiesige könnte ich mir in keiner anderen Schule vorstellen.»
Wertvolle Auszeit
Den Durchhänger verhinderte auch dieses Rezept: «Ich liess es nie zur Routine kommen.» 2012 entschied sich Kurt Weber im letzten Moment für eine Intensiv-Fortbildung. «Nachher strich der Kanton dieses Angebot, um ein paar Millionen zu sparen.» Das sei sehr schade, denn eine mehrmonatige Auszeit sei ein wertvolles Mittel gegen Durchhänger und Burnout gewesen. Er besuchte in Australien einen Intensivkurs in Englisch, setzte sich in Downunder mit den Aborigines und in Neuseeland mit den Maori auseinander. «Ich dokumentierte meine Erfahrungen und schrieb eine Arbeit darüber.»
Infolge veränderter Lebensumstände zog er von Wohlen nach Hermetschwil-Staffeln. In Bremgarten habe er damals keine geeignete Wohnung gefunden, erzählt er. Seit 2017 aber wohnt er endlich im malerischen Städtchen, das ihn seit jeher faszinierte, in dem er ein so befriedigendes Berufsleben fand, wo er über ein bereicherndes Netzwerk verfügt. An dieser Stelle möchte er all den Eltern danken, welche ihm immer viel Wohlwollen, Verständnis und Unterstützung entgegenbrachten und ihm ihre Jugendlichen anvertrauten.
Gesund bleiben
Für die Zeit nach den Stundenplänen hat er eine lange Liste erstellt, die er mit «Perspektiven» betitelt. Zuoberst steht «gesund bleiben». Die Endlichkeit seines Lebens ist ihm seit seinem Herzinfarkt im Jahr 2006 sehr bewusst.
Gereist ist er in all den Jahren viel, hat unzählige Destinationen angesteuert. «Einmal bin ich in 77 Tagen um die ganze Welt gejettet, via Tokyo, Australien, Neuseeland, Südsee, Costa Rica, Panama, Mexiko, Kalifornien, Boston und New York zurück nach Hermetschwil. Es war ein ‹Sabbatical›, eine weitere Auszeit.» Nach Südamerika will er noch einmal sowie nach Australien/Neuseeland. Die transsibirische Eisenbahn will er im Winter erleben und in Perugia sein Italienisch auffrischen. «Dort soll das schönste Italienisch gesprochen werden.» Sein Spanisch sollte auf Kuba neuen Schub bekommen. Mit dem Auto möchte er nochmals von Sizilien ans Nordkap und von Portugal bis ans Schwarze Meer fahren, dieses Mal eventuell mit dem Camper.
Zuerst wird er sich aber ein Generalabonnement besorgen. Spontanität ist jetzt angesagt. «Mal nichts tun, planlos leben. Jeden Tag nehmen, wie er kommt. Sport treiben, lesen, Museen besuchen und viel Kultur geniessen.»