«Sprung in andere Galaxie»
18.05.2018 SportAndy Wyder, Ehrenpräsident und Ex-Präsident des FC Wohlen im Interview vor dem letzten Heimspiel (Fr, 20 Uhr)
Über 18 Jahre lang war Andy Wyder Präsident des FC Wohlen. Er war der Patron eines Vereins, der in der NLB zum Höhenflug ...
Andy Wyder, Ehrenpräsident und Ex-Präsident des FC Wohlen im Interview vor dem letzten Heimspiel (Fr, 20 Uhr)
Über 18 Jahre lang war Andy Wyder Präsident des FC Wohlen. Er war der Patron eines Vereins, der in der NLB zum Höhenflug ansetzte. Der 55-Jährige überzeugte mit seiner diplomatischen, ruhigen und feinen Art. So ist er seit Jahrzehnten – auch im letzten Interview, bevor das FCW-Märchen endet.
Stefan Sprenger
Die einen nennen ihn «Capo» oder «Zico». Und auch wenn er seit Oktober 2014 nicht mehr im Amt ist, wird er in den Niedermatten von vielen weiterhin als «de Präsi» angesehen. Andy Wyder kann man bezeichnen wie man will. Er ist und bleibt die personifizierte Sympathie eines ganzen Fussballvereins und eine prägende Figur in der glorreichen NLB-Geschichte des FC Wohlen.
«Was ist noch wichtig?»
Während dem Interview zeigt sich Wyder besonders emotional, wenn man den heutigen Freitag anspricht. Das letzte Heimspiel des FC Wohlen steht an (20 Uhr). 16 Jahre nach der Aufstiegsparty am 8. Juni 2002 endet nun das Märchen. Mit einem 0:0 gegen Schaffhausen jubelte sich der kleine Provinzclub in die NLB. Und bestreitet nun erst zu Hause gegen Schaffhausen (Freitag, 20 Uhr) und am Pfingstmontag in Chiasso (16 Uhr) die letzten Spiele in der zweithöchsten Spielklasse.
Am Ende des Interviews wird Andy Wyder gefragt, was ihm noch wichtig sei und was er noch loswerden möchte. Seine Antwort: «Wir konnten jetzt natürlich nicht alles besprechen, was in all den Jahren in der NLB bedeutungsvoll gewesen war. Das würde sonst den Rahmen sprengen. Ganz wichtig ist mir, dass ich sagen darf, dass ich den neuen Kräften extrem dankbar bin. Ich bin glücklich, dass an der Spitze der AG und des Vereins fähige und frische Leute die grosse Verantwortung angenommen haben. Der FCW endet nicht im Chaos.» Wyders «Baby», sein Lebenswerk, es wird behutsam und kompetent weitergeführt.
Heute Freitag findet das letzte Heimspiel des FC Wohlen in der Challenge League statt. Was geht Ihnen vor dieser Dernière durch den Kopf?
Andy Wyder: Der Zeitpunkt ist gekommen, an dem der FC Wohlen aus dieser Liga Abschied nimmt. Es dauerte 16 Jahre – wer hätte dies gedacht? Ich freue mich auf die vielen guten Menschen, die ich heute Abend im Stadion sehen werde. Es wird sicherlich eine emotionale Sache. Aber irgendwie ist es auch gut, endet diese Rückrunde endlich.
Wie meinen Sie das?
Mir tut es sehr weh, den FC Wohlen so zu sehen. In 34 Spielen holte der FCW nur gerade 18 Punkte. Es gab 22 Pleiten und nur drei Siege. Man kassierte bislang 85 Gegentore. Diese Rückrunde war für den ganzen Verein und das Umfeld nicht einfach. Es ist gut, ist diese Belastung bald weg und kann diese Saison ad acta gelegt werden.
Blicken wir zurück auf diese glorreiche Zeit. Sie waren von 1996 bis 2014 Präsident des FC Wohlen. Was war Ihr sportlicher Höhepunkt?
Der 8. Juni 2002, als wir den Aufstieg auf der Paul-Walser-Stiftung feierten. Das war ein Sprung in eine andere Galaxie. Wir hätten nicht gedacht, dass wir das erreichen können. Doch der kleine FC Wohlen schaffte es. Was an diesem Tag passiert ist, kann man nur als «gewaltig» beschreiben. Und das Timing war perfekt. Im ersten Jahr konnten wir nicht absteigen, danach wurde auch die 1. Liga geteilt in Promotion und Classic.
Was war Ihr persönliches Highlight in all den NLB-Jahren?
(Lacht) Den Aufstieg kann man fast nicht toppen. Das war wie eine Goldmedaille für einen Olympia-Teilnehmer.
Nach dem Aufstieg gab es nichts Vergleichbares – aber sicherlich Momente, die Ihnen geblieben sind.
Natürlich. Jeder Klassenerhalt war wichtig und für uns eine Bestätigung, dass wir es nicht so schlecht machen. In der Anfangsphase nach dem Aufstieg war es grandios zu sehen, wie das Umfeld mitgezogen hat. Der Rückhalt aus der Region war riesig, der FC Wohlen verschaffte sich überall Respekt.
Machen Sie ein Beispiel.
In der ersten Saison hatten wir 30 Saisonpatronate. Jedes kostete 5000 Franken. In Wohlen, ja im ganzen Freiamt waren die Firmen bereit, uns zu unterstützen. Es herrschte eine geniale Fussball-Euphorie.
Diese Euphorie ging besonders in den letzten Jahren immer mehr verloren. Wie erklären Sie sich das?
Es war nie einfach. Vielleicht haben sich die Menschen daran gewöhnt, dass der FC Wohlen in der zweithöchsten Liga spielte. Es kamen immer weniger Zuschauer – allerdings ist davon der gesamte Fussball in der Schweiz betroffen. Man musste in all den Jahren am Produkt «FC Wohlen» arbeiten und da hatte man schon einen besseren Level mit vielen sportlichen und gesellschaftlichen Highlights als jetzt gegen Schluss der Nati-B-Zeit.
Denken Sie, dass es mit Monquez Alyousef – dem Investor aus Saudi-Arabien – zu tun hatte, dass sich viele Leute vom FCW abwendeten?
Mit ihm persönlich sicher nicht. Er war ein geradliniger und guter Typ. Diese Investition war ein zweischneidiges Schwert.
Erklären Sie.
Einerseits war man froh, einen solchen Investor zu finden, der seriös ist und positiv. Die Kehrseite dieser Medaille war ein gewisser Verkauf des Clubs. Dies kam natürlich nicht bei allen im Umfeld gut an und es gab Absprünge.
Man war aber fast gezwungen einen Investor zu suchen, da die Sponsoren-Zitrone in der Region ziemlich ausgepresst war.
Ja, das stimmt. Der FCW hat schon immer im Umfeld sehr viele Bemühungen im Sponsoring-Bereich angestellt. Sonst hätte man sich gar nicht so lange in dieser Liga halten können. Da muss man schon riesig dankbar sein gegenüber allen Sponsoren, Werbepartnern, den Mitgliedern der Gönnervereinigungen und insbesondere den Donatoren mit ihrem Vorstand unter Hans Hübscher und Urs Schürmann. Aber auch langjährige Sponsoren werden irgendwann müde. Der ausländische Investor hat schliesslich – leider kurzfristig – Abhilfe geschaffen.
Wann war in all den NLB-Jahren Ihr Tiefpunkt?
In den ersten zwei, drei Jahren nach dem Aufstieg war die Arbeitsbelastung gigantisch. Alles war Neuland. Man musste zudem vermehrt der Öffentlichkeit Auskunft geben und war plötzlich viel mehr im Mittelpunkt des Interesses. Das Privatleben und auch die eigentliche Arbeit litten unter dem Engagement im Verein. Es war eine Gratwanderung, ein persönlicher Tanz auf der Rasierklinge. Und ich selbst musste mich immer wieder neu erfinden und motivieren. Nach der Gründung der Aktiengesellschaft im Jahr 2008 wurde dies teilweise besser, aber die Arbeit wurde nicht weniger.
Schauen wir zurück: Welches war in den 18 Jahren als Präsident der Moment, wo Sie ausgerastet sind?
Als wir 0:1 gegen Delémont zu Hause verloren. Wir hatten den Ligaerhalt in den eigenen Füssen und haben die Chance nicht gepackt. Nach Spielschluss habe ich eine blaue Tonne weggekickt und war tief enttäuscht.
Aber weil Locarno noch in letzter Minute in Baulmes ausgeglichen hat, klappte es doch in extremis mit dem Klassenerhalt.
Das war mir in diesem Moment egal. Die Spieler feierten zwar, aber ich nicht. Ich konnte nicht verstehen, dass wir in einem so entscheidenden Spiel verlieren. Es war wohl der sportlich enttäuschendste Moment meiner Präsi-Karriere. Zum Glück sind wir doch nicht abgestiegen. Das war ein guter Trost.
In der NLB-Zeit von 2002 bis heute hat der FC Wohlen auch immer wieder am nationalen und internationalen Fussballgeschehen aktiv mitgewirkt. Was war da Ihr Höhepunkt?
Mir war wichtig, dass wir als Mitglied der «Swiss Football League» auch unsere Eigenmotivation zeigen. Der FC Wohlen wollte auch national repräsentieren. So durften wir dank einem guten Beziehungsnetz viele internationale Spiele austragen. Ein riesiger Anlass war das Spiel der Schweizer Frauennati gegen England. Da kamen über 2000 Menschen ins Stadion. Eine Zeit lang waren die Niedermatten das Lieblingsstadion der Frauennati. Und wir hatten auch den Cupfinal der Frauen oder die U20- und U21-Nati der Männer. Solche Spiele waren grossartig und ich schätzte den Kontakt zu den Menschen der Teams. Sei es England, Israel oder Schweden. Der FCW sollte sich stets als gastfreundlicher Verein zeigen – und ich glaube, das haben wir geschafft.
Dank diesen Spielen war die Reichweite des Vereins noch grösser.
Ja. Dank diesen Partien rückten wir noch mehr ins Rampenlicht – und das sehr positiv. Auch dank diesen internationalen Partien konnte ich die Bundesräte Samuel Schmid oder Ueli Maurer auf den Niedermatten begrüssen.
Wer war eigentlich Ihr Lieblingstrainer beim FC Wohlen?
Alle Trainer hatten ihre Qualitäten. Die einen waren erfolgreicher als andere. Jemanden herauszupicken ist schwierig, aber mich verbindet enorm viel mit Martin Rueda. Mit ihm hatten wir eine tolle Zeit – schon in der 1. Liga. Er war ein ausgezeichneter Spielertrainer und der Aufstiegsmacher. Von der ersten Stunde an – eigentlich bis heute – war Rueda dabei. Ebenfalls prägend war Ryszard Komornicki. Er trainierte uns in der 2. Liga, war verantwortlich für den Aufstieg in die 1. Liga, 2012 brachte er trotz grossem Druck den FC Wohlen in die Zehnerliga.
In all den Jahren sind viele Spieler gekommen und gegangen – welcher Fussballer war Ihr besonderer Liebling?
Da kann ich keinen explizit wählen. Es gab so viele. Die ganze Aufstiegsmannschaft war grandios. Der Aufstiegscaptain Flavio Gastaldi war eine enorm wichtige Figur. Emilio Munera erst als Spieler, dann als Assistenztrainer und später als meine rechte Hand – er war für mich und für viele im Verein unheimlich wichtig. Wenig später kam ein gewisser Alain Schultz dazu – als junger Fussballer. Schultz ist auch viel mehr als nur ein Spieler für den FC Wohlen. Michael Winsauer transferierte ich aus Neuseeland zu uns, er blieb bis zum heutigen Tag in unserer Region. Eine wunderbare Geschichte. Markus Brunner war mehr als nur ein Spieler, ein kluger Kopf, ein hoch motivierter Nachwuchstrainer später. Er hat die Geschichte der U23 zusammen mit Michele De Rosa und Urs Bächer stark geprägt. Es gab sehr viele gute Jungs in meiner Zeit
Wer war fussballerisch der Beste?
Auch da kann ich nur bedingt eine Antwort geben. Es gab viele. Vladimir Martinovic – damals in der 1. Liga – war sicherlich ein Fussballer, wie es Wohlen noch nicht gesehen hatte. Seine Freistösse waren brandgefährlich, seine Elfmeter immer im Netz, ein Supertransfer. So einen Fussballer wie Martinovic sah man auf der Paul-Walser-Stiftung noch nie. Aber auch ein Martin Rueda, ein Alain Schultz oder ein Milos Malenovic waren begnadete Kicker.
Welchen Transfer hätten Sie gerne gemacht, hat aber nicht geklappt?
Das ist einfach. Wir wollten damals den 16-jährigen Iwan Rakitic zum FC Wohlen holen. Wir haben uns sehr bemüht um ihn, doch er erhielt einen Profivertrag beim FC Basel. Wir waren ohne Chance (lacht). Heute wissen wir – und der FC Barcelona – wieso.
Sie waren viele Saisons bei der Zusammenstellung des Teams aktiv dabei – was sind Ihre Erinnerungen?
Seit dem Jahr 1995 habe ich aktiv geholfen, dem Fanionteam ein Gesicht zu geben. Das Team zusammenzustellen war jedes Mal ein Höhepunkt und eine riesige Herausforderung zugleich. Es war immer ein Gemeinschaftswerk. Da könnte ich einige spannende Geschichten erzählen, aber lassen wir das lieber bleiben (lacht).
Sie sagten zu Beginn des Interviews, dass der Aufstieg 2002 ein Sprung in eine andere Galaxie war. Ist der freiwillige Abstieg in die 1. Liga Promotion ebenfalls ein Absprung in eine andere Galaxie?
Nein. Nun geht das Märchen in der Profiliga einfach zu Ende. Die Führungscrew des FCW hatte keinen Willen und keine Euphorie mehr – ich kann den Entscheid des Rückzugs zu gewissen Teilen verstehen. Man musste jede Saison kämpfen, irgendwann ist man müde. Mich hat der Rückzug sehr beschäftigt, aber es ist wichtig, dass der Verein jetzt gut weitergeführt wird – und das wird er, da bin ich mir sehr sicher. Auch ohne Challenge League.
Schlussfrage: Was haben Sie in all den Jahren in der Challenge League am allermeisten geschätzt?
Es waren die vielen persönlichen Kontakte zu den Menschen. Ob die Crew der Paul-Walser-Stiftung, die Spieler, Juniorentrainer oder Geldgeber. Ich war immer gerne im Stadion. Hier waren wir viel mehr als nur ein Fussballverein, eine heterogene und spannende Familie. Hier beim FC Wohlen engagieren sich seit Jahren sehr viele Helfer, die tolle Menschen sind. Ohne sie wäre dieses Märchen nie und nimmer möglich gewesen. Für mich waren diese Menschen auch der Hauptgrund für mein Engagement. Und ich glaube und hoffe, dass viele dieser Menschen auch in der 1. Liga Promotion noch weiter dieser FCW-Familie erhalten bleiben.



