Der Bärenbändiger

  05.11.2021 Dintikon

Die einmalige Geschichte von Renato Gsell und dem Gasthof Bären, der am Mittwoch eröffnete

So etwas hat es wohl noch nie gegeben: Auf den Impuls eines Menschen schliessen sich 20 Leute zusammen und kaufen das einzige Restaurant im Dorf. Gemeinsam wird es auf Vordermann gebracht und nun eröffnet. Es ist die besondere Geschichte von Renato Gsell und dem Gasthof Bären in Dintikon.

Stefan Sprenger

Schon vor zehn Jahren wollte Renato Gsell den Gasthof Bären kaufen. Damals klappte es nicht. Der Patron der «Gsell Oelfeuerungen AG» aus Dintikon darf im März 2021 die Ölheizung des Gebäudes kontrollieren und kriegt per Zufall von Besitzer Kurt Sommer mit, dass der «Bären» wieder zum Verkauf steht. Er müsse sich innert 14 Tagen entscheiden. Doch Renato Gsell fackelt nicht so lange. Er geht nach Hause und beginnt zu telefonieren. Mit seiner feinen Art gelingt es ihm, die Dintikerinnen und Dintiker von dieser romantischen und einmaligen Idee zu begeistern. Innert der Frist von zwei Wochen sind 20 Genossenschafter gefunden, die den «Bären» gemeinsam kaufen. Darunter sind 17 Mitglieder der Männerriege des TV Dintikon, wo auch Gsell dabei ist. Die «Freunde des Bären» sind geboren.

3000 Stunden Frondienst

Im Mai wird die Genossenschaft gegründet. Am 18. Juni 2021 wird der Vertrag unterzeichnet und der Kauf der Liegenschaft ist fix. Einen Tag später beginnen die Renovationsarbeiten. In den darauffolgenden Monaten wird jeden Samstag gewerkelt und renoviert. Bis zu 30 Leute sind damit beschäftigt, dem Gasthof Bären neues Leben einzuhauchen. Die 20 «Freunde des Bären» kommen aus den unterschiedlichsten Arbeitssektoren. Gemeinsam und mit der Hilfe von Freunden und Bekannten nutzt man die einzelnen Fähigkeiten und baut den Gasthof Bären (unentgeltlich) um. Mit über 3000 Stunden Frondienst von Menschen aus Dintikon.

Emotionale Sache für die Familie Sommer

Renato Gsell ist ein guter und zurückhaltender Typ. Kein Mann der grossen Emotionen. Und trotzdem sind sie zu spüren, wenn er sagt: «Es war sehr schön, wie quasi das ganze Dorf mitgeholfen hat.» Und das war auch sein Ziel: miteinander etwas auf die Beine stellen. Und die Dorfbeiz nicht sterben lassen. Denn ein (mögliches) Projekt sah vor, das 2500 m2 grosse Grundstück zu einem Wohnhaus umzufunktionieren.

Das Gebäude wurde 1834 gebaut und ist seit damals ein Gastrobetrieb. Seit 1921 ist es im Besitz der Familie Sommer. 80 Jahre lang hat die Familie selbst das Restaurant geführt. Um die Jahrtausendwende kamen zwei Pächter, die jeweils 10 Jahre lang blieben. Die Besitzer waren die Kinder der Familie Sommer: Kurt, Bernhard und Maja. Letztere heisst heute Wullschleger, lebt in Wohlen und ist die Frau des Apothekers Thomas Wullschleger. Die 62-Jährige ist im Gasthof Bären aufgewachsen, hat ihre Kindheit dort verbracht.

«Historischer Tag für mich»

Ihre Grosseltern haben den Gasthof an ihre Eltern übergeben. Für sie ist es eine sehr emotionale Angelegenheit. Maja Wullschleger sagt: «Diese schöne Geschichte ist Renato Gsell zuzuordnen. Er ist eine feine Person. Von Anfang an stimmte die Chemie mit uns.» Man hatte viele andere Interessenten für den «Bären», «aber Gsell und seine tolle Idee haben uns überzeugt».

Vorgestern Mittwoch feierte der Gasthof Bären Neueröffnung (siehe Artikel unten). «Ein emotionaler und historischer Tag für mich», wie Maja Wullschleger sagt. Denn der «Bären» ist nach 100 Jahren nicht mehr im Besitz der Familie. Auch wenn das Gebäude schon seit Monaten verkauft ist, so ist die Neueröffnung irgendwie endgültig. «In diesem Haus stecken so viele Erinnerungen»,
Wullschleger und fügt an: «Wir sind sehr froh, es in gute Hände gegeben zu haben. Es ist ein Schmuckstück geworden.»

Für die Sommer-Geschwister Kurt, Bernhard und Maja war es wichtig, «den Dintikern etwas zurück zugeben». Dies will auch Renato Gsell. «Dintikon braucht eine Dorf beiz», wie er sagt. Der 66-Jährige will sich selber nicht im Mittelpunkt sehen und lenkt beim Gespräch immer von seiner Person ab. Er sagt beispielsweise: «Wir hatten viele Helfer, viele Sponsoren, viele Menschen, die mit angepackt haben. Es ist hier fast eine kleine Euphorie entstanden. Wir erlebten eine grosse Solidarität. Nun soll der ‹Bären› da sein für alle. Nicht nur für Dintiker, sondern für alle Menschen.»

Die «Freunde des Bären» haben den Gasthof im Dorf gekauft, auf Vordermann gebracht – und jetzt neu eröffnet. Sie alle sind kleine Helden in dieser romantischen und einzigartigen Geschichte. Der grosse Held heisst Renato Gsell. Der Bärenbändiger von Dintikon.


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