Der Weltenbummler

  30.07.2021 Ringen

Serie «Freiämter Olympioniken»: Viktor Meier

Der Niederwiler Viktor Meier war gleich viermal an Olympischen Spielen dabei. Nicht als Athlet, sondern als Kampfrichter im Ringen.

Er ist schon sein ganzes Leben in Niederwil wohnhaft. Viktor Meier hat aber bereits alle Kontinente bereist. Zu verdanken hat er das seiner Tätigkeit als Kampfrichter im Ringen. Diese hat ihn an 23 Europa- und 13 Weltmeisterschaften geführt und gleich viermal an die Olympischen Spiele. Meier war 1996 in Atlanta, 2000 in Sydney, 2004 in Athen und 2008 in Peking im Einsatz. --jl


Das Hundefleisch blieb ihm erspart

Serie «Freiämter Olympioniken»: Viktor Meier aus Niederwil – Olympia 1996, 2000, 2004 und 2008

Viktor Meier durfte nie als Aktivringer an den Olympischen Spielen starten. Stattdessen war er als Kampfrichter gleich viermal dabei. In Atlanta, Sydney, Athen und Peking. Dank seiner Tätigkeit als Unparteiischer konnte er einiges von der Welt sehen und vieles erleben. Er erzählt vom Bombenanschlag in Atlanta, dem langen Flug nach Sydney und dem «Vogelnest» und Hundeleisch in Peking.

Josip Lasic

Die Olympischen Spiele 2008 in Peking. Während Sportler aus aller Welt zu Besuch in der chinesischen Hauptstadt sind, ist der Verkauf von Hundefleisch verboten. «Da war ich sehr froh darüber», erzählt Viktor Meier. Der Niederwiler war als Kampfrichter im Ringen vor Ort. «Wir haben in Peking immer sehr gut gegessen. In den Restaurants war zwar alles auf Chinesisch angeschrieben, doch es gab Bilder zu den Menüs. Wir haben dann jeweils darauf gezeigt, was wir essen wollten. Es war immer sehr lecker und die Gewissheit war da, dass kein Hund darunter war», erzählt er lachend. Eine von zahlreichen Anekdoten, die Meier in seinem Repertoire hat.

Für den Freiämter waren die Spiele in Peking nach Atlanta 1996, Sydney 2000 und Athen 2004 die vierten, bei denen er dabei sein durfte. Ausserdem war er als Kampfrichter an 23 Europameisterschaften und 13 Weltmeisterschaften im Einsatz und hat durch die Reisen an all diese sportlichen Grossereignisse sehr viel von der Welt gesehen.

«Haben gesehen, wie Polizei Strassenkinder schlägt»

Nach der Weltmeisterschaft 2010 in Moskau ist Viktor Meier als internationaler Kampfrichter zurückgetreten. Im Alter von 60 Jahren werden die Unparteiischen im Ringen pensioniert. «Ich hätte danach noch Instruktor werden können, aber da wäre ich noch mehr unterwegs gewesen, als ich es schon als Schiedsrichter war», sagt er.

Der Niederwiler, der mittlerweile 70 Jahre alt ist, denkt voller Zufriedenheit an seine Zeit als Kampfrichter zurück. «Ich konnte Orte besuchen, an die ich sonst nie gekommen wäre, habe alle Kontinente bereist und sehr viel Spannendes erlebt.» Positives wie Negatives. «Oft war ich froh, nach Hause zu kommen, und dachte mir ‹Gott sei Dank leben wir in der Schweiz›», erzählt er. «Das waren keine Olympischen Spiele, sondern eine Europameisterschaft im türkischen Izmir. Wir mussten mit ansehen, wie die Polizei Strassenkinder zusammenschlägt. Solche Dinge prägen sich ein.»

An den vier Olympia-Teilnahmen hat er ebenfalls viel Prägendes erlebt und erzählt davon. Beispielsweise von der ganzen Infrastruktur in Peking. «So etwas wie die Eröffnungsfeier dort habe ich nie gesehen. Man hat gespürt, dass China eine Weltmacht ist. Schon der Flughafen war beeindruckend. Er wurde eigens für die Olympischen Spiele ausgebaut. Und das Olympiastadion, das ‹Vogelnest›, war gigantisch.»

Schweizer Meister und der Traum von Montreal

All diese Erlebnisse hat er als Kampfrichter gesammelt. Für die Offiziellen ist es wie für die Athleten eine grosse Leistung und Ehre, für Olympia selektioniert zu werden. Der Niederwiler hätte beinahe beides geschafft.

Im Alter von 16 Jahren ist Viktor Meier nur 1,56 Meter gross. Mit diesen Körpermassen kommt für ihn nur eine Sportart infrage: Kunstturnen. Der Turnverein Niederwil hat diese damals nicht im Angebot. Also orientiert sich Meier an seinem Bruder, der im Turnverein als Ringer, Schwinger und Nationalturner unterwegs war. Als die Meier-Brüder ein Schwinger-Training des TV Niederwil besuchen, wird auch im Sägemehl gerungen. Viktor Meier wird ein Ringer. «Ich habe ungefähr 40 Kränze im Sägemehlringen geholt», erzählt Meier. «Aber mein grösster Erfolg war der Gewinn der Schweizer Meisterschaft 1974.» Als Aktivringer holt er damals an den Einzelmeisterschaften den Schweizer-Meister-Titel im Greco-Ringen bis 68 kg. Nach diesem Erfolg wird Olympia ein erstes Mal zum Thema beim Niederwiler.

Er liebäugelt mit den Olympischen Spielen 1976 in Montreal. Doch der Traum ist schnell ausgeträumt. Ein Jahr nach seinem Meistertitel reisst sich Meier an einem internationalen Turnier das Kreuzband. Die Rückkehr auf die Matte dauert mit Operation und Rehabilitation und Wiederaufbau lange. Zu lange, als dass es noch realistische Chancen für Montreal geben würde.

1983 kommt er zum Schiedsrichtern. Vor einem Turnier in Winterthur ruft ihn der damalige Kampfrichterchef – ein guter Freund von Meier – an und fragt, ob er an diesem Turnier nicht einspringen könne. «Sie hatten zu wenig Leute. Er hat mir gesagt, dass ich ja die Regeln und alles kenne. Ich konnte ihm den Wunsch nicht abschlagen.» Von da an läuft die Kampfrichterkarriere des Niederwilers. Innerhalb von 13 Jahren legt er alle internationalen Prüfungen ab und schafft an der EM 1996 in Budapest die Qualifikation für Atlanta.

Unterwegs mit schwangerer Chinesin

Atlanta war die erste von seinen vier Olympia-Teilnahmen. Viktor Meier kann und will keine davon irgendwie hervorheben. «Sie waren alle auf ihre Art und Weise speziell», sagt er. «Bei der Premiere in den USA war ich sehr neugierig und gespannt, was mich erwartet. In Sydney war es beispielsweise der lange Flug, der für mich damals eine neue Erfahrung war. Ich konnte von jeder Teilnahme etwas mitnehmen.»

In Atlanta gelingt es ihm beispielsweise, sich zum Leichtathletik-Wettkampf ins Stadion zu schleichen. Die Kampfrichter haben im Gegensatz zu den Athleten weniger Zugang zu den zahlreichen Wettkampfstätten. «Teilweise waren sie auch sehr weit weg. Im Gegensatz zu den Sportlern haben wir nicht im olympischen Dorf gelebt. Aber in Atlanta hat es geklappt.» In Peking nicht. Dort versucht er ebenfalls einen Wettkampf zu besuchen, kommt aber nicht ins Stadion. Mit Müh und Not findet er ein Taxi, das ihn zurück ins Hotel bringen soll. «Plötzlich steigt eine schwangere Chinesin dazu. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Sie und der Taxifahrer haben sich unterhalten. Ich habe nichts verstanden. Wir sind dann losgefahren. Er hat zuerst sie abgeladen und dann mich. Es waren schon verrückte Erlebnisse dabei, aber ich erinnere mich gern daran.»

Blaue Berge, Chinesische Mauer und Bombenanschlag

Die Freundschaften kommen ihm an den Olympischen Spielen auch vor Ort zugute. Meist ist er mit den deutschen und österreichischen Kollegen unterwegs. Vor Ort durften die Kampfrichter an den freien Tagen die Zeit nutzen, um die Sehenswürdigkeiten zu besuchen. «In Australien haben wir beispielsweise die ‹Blue Mountains›, die blauen Berge, gesehen. In Peking waren wir in der Verbotenen Stadt und haben die Chinesische Mauer besucht. Das sind alles sehr eindrückliche Orte.» Einzig in Athen hat das nich so gut funktioniert. Da hatten die Richter nur einen freien Tag zur Verfügung. «Da war meine Frau zum ersten Mal mit dabei. Wir konnten aber kaum etwas ansehen. Das war sehr schade.»

Die Erlebnisse waren allgemein nicht immer schön. In Athen waren die Wettkampfstätten und das olympische Dorf noch nicht fertiggestellt. Auch vom Hotel ist der Freiämter damals nicht begeistert. Im Vergleich zu seinem Olympia-Debüt ist das allerdings harmlos. Auf die Olympischen Spiele in Atlanta wurde ein Bombenanschlag verübt. Zwei Menschen kommen ums Leben. 111 Personen werden verletzt. «Wir waren glücklicherweise sehr weit vom Anschlag entfernt», sagt Meier. «Ausserdem haben wir erst mit zwei Tagen Verspätung davon erfahren. Die Einlasskontrollen wurden aber im Nachhinein verschärft. Da war es einem schon mulmig.»

Immer noch im Ringen tätig

Heute lebt Viktor Meier mit seiner Ehefrau Madlen in Niederwil. Dort, wo alles begonnen hat. Der Freiämter ist zufrieden, sowohl mit seiner Aktiv- als auch mit der Kampfrichter-Karriere. «Ich hatte in beidem meine Erfolge und spannende Erlebnisse. Rückblickend bereue ich gar nichts.»

Der gelernte Werkzeugmacher, der bei der Riwisa in Hägglingen und der Sika Aliva in Widen gearbeitet hat, ist mittlerweile 70 Jahre alt und pensioniert. Mit dem Ringen ist er nach wie vor stark verbunden. Joel Meier, der Enkel seines Bruders, ist ein starker Ringer aus den Reihen der RS Freiamt. Viktor Meier selbst leitet bei der RS Freiamt noch das Schülertraining. Er ist ausserdem für die Ringer-Riege im Turnverein Niederwil zuständig. Dort, wo sein Weg zum vierfachen Olympioniken begonnen hat.


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