Hinter der Fassade des «Bad Boy»

  11.01.2019 Motorsport

Nein, Promi-Status habe er nicht. In der breiten Öffentlichkeit nicht, aber in der Motorsportszene alleweil – und das nicht nur in der Schweiz. Daniel Müller, er ist das Urgestein. Vater, fast schon Grossvater seiner Konkurrenten könnte er sein, wenn er 53-jährig an den Start geht. «Viel Training hilft das Handicap des Alters wegzumachen», sagt der Murianer. Viel Training auf dem Töff, aber vor allem im eigenen Fitnessraum unter dem Dach im Murianer Industriegebiet.
Hier lebt Müller zusammen mit seiner Freundin Angela. Die Wände sind hoch, drei, vier Meter vielleicht. Trotzdem, von zuunterst bis zuoberst sind sie überstellt mit Pokalen. Welches der speziellste ist? «Das fragen viele. Dieser hier vielleicht», sagt er und zeigt auf einen im Vergleich ziemlich unspektakulären Kübel. «Der ist aus Indien.»


Die letzte Gelegenheit genutzt


Der Blick schweift über die ganze Wand. «Das sind nicht alle», sagt Daniel Müller. Wie viele es sind – er weiss es nicht. Beeindruckt davon sind Debora Lienhard und Philippe Frey immer noch. Ihr Blick bleibt aber nicht mehr an den einzelnen Pokalen hängen. Es ist nicht das erste Mal, dass die 22-Jährige und der 23-Jährige in Müllers Wohnung stehen und mit ihm über seine Karriere reden. Sie sind es, die das Projekt zusammen mit der Filmproduktion «IWISH Productions» starteten, einen Dokumentarfilm über den Motorsportpiloten zu drehen.
Die ganze Saison haben die beiden den 53-jährigen Athleten begleitet. «Wir wollten das machen, bevor er seine Karriere an den Nagel hängt», sagt Philippe Frey. Es sollte sich herausstellen, dass sie die letzte Gelegenheit nutzten. Es sei speziell, wenn  ein Dokumentarfilm über das eigene Leben gedreht werde, meint Daniel Müller. Speziell, mit diesem Wort beschreibt er selber auch sein Leben, seine Leidenschaft und vor allem seine Leidensfähigkeit.


Es braucht Egoismus


Die dunklen Momente in der Karriere, sie helfen Emotionen zu transportieren. Und genau das wollen Debora Lienhard und Philippe Frey mit ihrem Film: bewegen. «Klar, der Motorsport nimmt viel Raum ein. Aber es soll auch ein Blick hinter die Fassade des Fahrers sein», betonen sie. Momente aus der Kindheit werden beleuchtet, die Müller zu dem machten, was er ist: ein zielstrebiger, fokussierter und verrückter Sportler. «Ich weiss, dass ich speziell bin, relativ ruhig, aber auch explosiv sein kann.» So beschreibt sich Müller selber. Drittpersonen nennen im Film den enormen Willen als besonderes Merkmal – ob Konkurrenten, Jugendfreunde oder die Freundin.
Er habe sein ganzes bisheriges Leben nur für den Sport gelebt. «Das ist vielleicht egoistisch», bekennt er, «aber das braucht es, wenn man so sein will, wie ich es bin.» Dass sein Umfeld, namentlich ehemalige Freundinnen, damit nicht klar kamen, das versteht Müller. «Vieles, was ich mache, mache ich nur für mich.» Heiraten, Vater werden? «Keine Zeit.» Angela, seine langjährige Freundin akzeptiert das. Auch sie ist aus der Motorsport-Szene, hat aber nach einem schweren Unfall Müllers aufgehört, Rennen zu fahren.
Im Wald nahe der Bachmatten angefangen
Weit über zehn Stunden Rohmaterial haben die beiden jungen Filmemacher gesammelt. Hinzu kommen viele Bilder aus Müllers Jugend, die in den Film eingefügt werden. Rund 40 Minuten soll er am Schluss dauern. Total rund 500 Stunden Arbeit werden die beiden in das Projekt investiert haben. Und das freiwillig und unentgeltlich. Lienhard arbeitet zwar in der Werbefilm-Branche, dieses Projekt realisierte sie mit ihrem Freund aber mehrheitlich in der Freizeit. «Weil es uns Spass macht», sagen die beiden.
Spass gemacht, das hat Daniel Müller das Motocross- und Supermotard-Fahren – jedes einzelne Rennen. Ob die Meisterschaft in Österreich, Rennen in Belgien, in Israel oder anfangs das Rundendrehen im Wald nahe der Sportanlagen Bachmatten in Muri. «Es gibt nichts, was ich lieber tue», sagt der Murianer. Das sei auch die Motivation gewesen, nach den grossen Verletzungen weiterzumachen, sich zurückzukämpfen. Etwa im Jahr 1990, als sein Leben nach einem Jet-Ski-Unfall an einem seidenen Faden hing. «Ich war mehr tot als lebendig», blickt Müller zurück. Drei Beinbrüche und eine komplizierte Schulterverletzung folgten. Am schwierigsten zu verarbeiten sei aber etwas anderes gewesen: der Tod zweier Kollegen auf Rennstrecken. «Da fragst du dich schon, was du überhaupt machst.»


Premiere in einem Kino


Gewusst, was er macht, hat Müller immer. Die finanzielle Absicherung musste Jahr für Jahr stimmen, bevor er in die Saison startete. Nach anfänglich zwei Jahren als Profi steigerte er sein Arbeitspensum stetig. In den letzten Jahren war er 100 Prozent als Maschinenmonteur tätig. «Und 100 Prozent der Freizeit ging für den Sport drauf.» Viel weniger ist es auch nach dem Rücktritt nicht. Müller fährt zum Plausch, gibt Kurse. Aber er geniesst die Zeit ohne Verpflichtungen, ohne Verträge.
Er freut sich, wenn im März der Film über sein Leben fertig ist. «The Story of Bad Boy» lautet der Titel. Den Übernamen holte er sich in der Szene, wegen seinem Kampfgeist, wegen seiner Shows. «Das ist für mich eine einmalige Chance. Wer kann schon von sich sagen, dass es einen Dokumentarfilm über sein Leben gibt?» Daniel Müller kann es bald. Die Premiere soll in einem Kino erfolgen, Ort und Datum sind noch unklar. «Ich bin jetzt schon stolz auf das, was ich erreicht habe und auf das Filmprojekt.»


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