Ist Fleischkonsum nachhaltig?

  07.12.2017 Essen und Trinken

Fleisch – bewegendes Thema
Bauer und «Swiss Beef»-Präsident, die Tierliebhaberin, der Schlachthof-CEO und die Präsidentin der Tierpartei äussern sich

Luxusartikel Fleisch. Es wird geliebt auf dem Esstisch von Herrn und Frau Schweizer. Doch es ist auch umstritten. Der Fleischkonsum in der Schweiz (und der ganzen Welt) wächst stetig. 60 Milliarden Tiere werden weltweit jedes Jahr geschlachtet. «Man sollte Fleisch mit Respekt behandeln», sagt Franz Hagenbuch aus Rottenschwil, Präsident von Swiss Beef.

Franz Hagenbuch wischt das Kraftfuttermittel in die Futterwannen der Munis. «Chum. Ässe.» Die grossen, bulligen Stiere folgen seinen Anweisungen. Sie fressen. Er hat rund 200 Munis (männliche Kühe) auf seinem Hof in Rottenschwil. Jeder von den Stieren hat mindestens 3 Quadratmeter Platz zur Verfügung. So viel wie vorgeschrieben vom Gesetz. «Das reicht aus. Sie können sich genug bewegen», sagt Hagenbuch. Was er als «genug Platz» bezeichnet, das sieht für einen Laien nach eingepfercht aus. Doch es ist gesetzlich in Ordnung.

Der wortgewandte Bauer ist in seinem Stall. Links und rechts sind die Stiere am Fressen. Er blickt nach draussen. Sein Zeigefinger geht in die Luft. «Sehen Sie. Es regnet und es ist kalt. Wer will denn schon bei diesem Wetter raus? Den Tieren gefällt es hier drin.»

Franz Hagenbuch, der ehemalige   Gemeindeammann von Rottenschwil und Präsident der lokalen Raiffeisenbank, ist 56 Jahre alt und seit Jahren der Chef dieses Munimastbetriebes. Innerhalb von 12 Monaten zieht er die Tiere auf. Vom Kalb zum Stier. Dann werden sie geschlachtet. «Ich habe sehr gutes Futter. Die Tiere legen schnell Muskeln an und sind schneller bereit, um geschlachtet zu werden, als andere Tiere».

Haltungsbedingungen in der Schweiz besser, aber...

Hagenbuch ist stolz darauf, dass seine Tiere so schnell gedeihen. Für ihn als Präsident von Swiss Beef ist klar: «Der Minimalstandard nach Tierschutzgesetz in der Schweiz ist sehr hoch.» Auch bei ihm auf dem Hof. Und doch gewinnt man als Laie den Eindruck, die Tiere seien den ganzen Tag auf engstem Raum eingesperrt und hätten keinerlei Beschäftigung ausser Fressen. Kann man dem leben sagen? «Es ist halt so. Nutztiere sind für uns da. Das war schon immer so», sagt Hagenbuch.

Monika Heierli, die Präsidentin der Tierpartei Schweiz (TPS) mit Sitz in Muri, sagt dazu: «Die Schweiz hat im Vergleich zum Ausland zwar ein besseres Tierschutzgesetz, in dem auch die Haltung der Nutztiere geregelt wird.» So weit, so gut.
Heierli fügt jedoch hinzu: «Zum Leidwesen der betroffenen Tiere handelt es sich hier aber um das absolute Minimum, damit man nicht von Tierquälerei sprechen muss.» So sei es beispielsweise nicht notwendig, dass ein Schwein Auslauf haben muss. Man könne es sein Leben lang in einem «dunklen Verlies» halten und es dann zum Schlachthof führen. Und wieder die Frage: Ist dies ein Leben, das sich zu leben lohnt? In der Schweiz ist es so, dass 50 Prozent der Schweine sogenannte «Label-Schweine» sind und Auslauf haben (wie aus einem Bericht des «Tages-Anzeiger» vom Oktober 2017 hervorgeht).

Fleisch ist nachhaltig, «wenn es aus der Schweiz kommt»

«Die Tierpartei ist der Auffassung, dass die Schweiz in Bezug auf die Nutztierhaltung noch sehr viel tun muss, damit man diesen Tieren ein einigermassen tiergerechtes Dasein ermöglichen kann. Von artgerecht wird man wohl nie sprechen können», so Heierli. Die Verbesserung der Nutztierhaltung bedeutet auch, dass die Kosten für die Fleischproduktion steigen. Der Konsument muss also mehr bezahlen. «Das Problem: Der Konsument würde dann wohl auf Billigfleisch aus dem Ausland zurückgreifen.» So Hagenbuch von Swiss Beef.

Und dann wäre der Fleischkonsum definitiv nicht mehr nachhaltig. «Ja, das ist so», sagt Stefan Strebel, Geschäftsführer der Braunwalder AG in Wohlen. Fleisch sei nur nachhaltig, «wenn das Futter aus der Schweiz ist, das Tier hier aufgezogen wird und der Anfahrtsweg kurz ist». Dies sei bei seiner Firma der Fall. Die grösste Schlachterei im Kanton Aargau mit 66 Mitarbeitern schlachtet jeden Monat rund 1000 Schweine und 250 Rinder und Kälber. Strebel ergänzt: «Wir trumpfen mit Fleisch aus der Region. Das hat auch seinen Preis. Aber wir Schweizer können uns den Luxusartikel Fleisch ja leisten.»
Zu Massentierhaltung und langen Anfahrtswegen hat der frühere Spitzenschwinger eine klare Haltung: «Poulet aus Brasilien, das ist eine absolute Schweinerei.» Die Tiere hier in der Schweiz kriegen gutes Futter und sollen gut gehalten werden. Dann sei auch das Fleisch von der Qualität her umso besser. Aber eben: Auch teurer. Strebel rät dem Fleischkonsumenten: «Man sollte sich gut überlegen, woher das Fleisch kommt, das man kauft. Weniger könnte manchmal mehr sein.»

Tiere müssen möglichst schnell reif sein für Schlachtbank

Hagenbuch, Präsident von «Swiss Beef», sagt zum Thema Nachhaltigkeit in der Schweiz: «Wir haben in unserem Land viel Grasland, das gemacht ist für Kühe, Geissen und Schafe. Sie veredeln das Raufutter zu Fleisch und Milch.»
Ein weiteres Fakt: Es wird nicht genügend Fleisch produziert, um die hungrigen Schweizer Mäuler zu nähren. Wer in dieser Jahreszeit in einem Restaurant «Wildspezialitäten» geniesst, wäre an vielen Orten überrascht, woher das Fleisch stammt. Jedenfalls haben nur die wenigsten Restaurants das geschossene Wild aus dem Wald vor der Haustüre auf dem Tisch. Das ist Wunschdenken. Genauso wie die Kuh, die glücklich am Grasen ist und dann – irgendwann – geschlachtet wird.

Heute läuft es hauptsächlich wie auf dem Betrieb von Franz Hagenbuch. Die Tiere müssen möglichst schnell reif sein für die Schlachtbank. Für Hagenbuch ist das wichtig, aus wirtschaftlichen Gründen. Denn: Wenn dieser Prozess zu lange dauert, kann er nicht davon leben.

Das Kälbchen mit der Nummer 7 auf dem Kopf

In seinem Betrieb in Rottenschwil geht er durch den Stall. «Ich achte gut auf die Tiere. Sobald es ihnen schlecht geht, hole ich den Tierarzt», sagt er. Er kann dabei auf jahrelange Erfahrungen zählen. Und wenn man sieht, wie sauber sein Stall ist, dann glaubt man ihm seine Worte auch. Hagenbuch streichelt ein Kälbchen und sagt: «Das hier ist ein sehr schönes. Im letzten Jahr hatten wir ein Kalb, das hatte im Fell eine Nummer 7 auf dem Kopf. Wir hätten ein Foto machen sollen und es dem Wohler Soulsänger Seven schicken müssen», sagt er lächelnd. Hagenbuch baut auch eine Beziehung zu seinen Tieren auf. Ist es ihm egal, dass die 200 Munis auf seinem Hof alle innerhalb eines Jahres geschlachtet werden? Der Bauer überlegt, zuckt mit den Schultern. «Das gehört dazu», sagt er. Und ergänzt wenig später: «Fleisch ist ein hochwertiges Nahrungsmittel. Man sollte es mit dem nötigen Respekt behandeln. Das heisst: Man sollte es nicht übermässig konsumieren.»

Die Masse bestimmt den Markt. Und das Einkaufsverhalten des Konsumenten. Und dieser will Fleisch. Fleisch. Fleisch. Rund 60 Milliarden Tiere werden weltweit jährlich geschlachtet. 60 Millionen in der Schweiz. Eine unglaubliche Zahl.
Weit oben auf der Schlachtliste: Hühner. Die werden so gezüchtet, dass die Brust besonders gross ist. Der Konsument wünscht es so. Ist ein Tier krank, wird es mit Antibiotika behandelt. Ein Auswuchs der Massentierhaltung. Astrid Gebert aus Beinwil (Freiamt), die auf einen Leserbrief von «Swiss Beef»-Präsident Hagenbuch reagierte, sagt: «Es gibt hier in der Region eine Pouletmasthalle. Die Tiere werden innert 32 Tagen schlachtreif gemacht. Wenn man nahe an den Stall geht, erkennt man durch die massiv getönten Scheiben  wie bei uns produziert wird.» Doch es ist alles nach Gesetz. Es sei trotzdem erschreckend.
Hagenbuch stört sich. «Für viele ist der Vegetarismus zum Religionsersatz verkommen.» Er ergänzt: «Ein vegetarischer Tierschützer predigt den Verzicht von Fleisch. Wenig später steigt er in ein Flugzeug nach Argentinien und unterstützt dort ein WWF-Projekt. Ist dies nachhaltig?»

An dieser Stelle könnte man die Argumente beider Parteien gegenüberstellen. Oder man zählt Fakten auf: Für die Produktion eines Kilos Rindfleisch werden 15,4 Kilo CO2 emittiert, bei Linsen hingegen schlanke 0,7 Kilo CO2. Oder: 15 Prozent aller Treibhausgase entstehen, weil Kühe furzen und rülpsen.
Es werden Fragen gestellt wie: Woher stammt das Futter für die Schweizer Nutztiere? Wie lange sind die Anfahrtswege zum Schlachthof? Wie viel Antibiotika wird den Tieren verfüttert? Ist Fleisch krebserregend? Wie viel Einfluss hat die Fleischlobby auf politische Entscheide? Ist importiertes Futtermittel für Nutztiere schlimmer als importierter Kakao, Spargeln oder Bananen? Der Autor dieser Zeilen wird von beiden Parteien mit Informationen, Artikeln und Broschüren eingedeckt. Es ist so viel, dass man den Überblick über das vielschichtige und komplexe Thema «Fleischkonsum» verlieren kann. Fast so wie der Konsument, wenn er vor dem Fleischregal des Grossverteilers steht.

«Weniger ist mehr»

Die Quintessenz – und da sind sich alle Parteien einig –: «Wir alle sollten uns gut überlegen, woher das Fleisch stammt, das wir kaufen.» Und – auch da sind sich der Bauer und Präsident von Swiss Beef, der Geschäftsführer des Schlachthofs, die Präsidentin der Tierpartei und die Tierliebhaberin einig: «Weniger ist mehr.» Der Fleischkonsum hat ein riesiges Ausmass
angenommen. Die Qualität von ausländischem Fleisch sinkt. Der Leidtragende: das Tier. Denn viel schlimmer als der Tod ist der Fakt, dass es kein Leben hatte, das sich auch nur ansatzweise zu leben lohnte. «Regionales Fleisch einkaufen», wie Strebel von der Braunwalder AG sagt. «Respektvoll damit umgehen und nicht übermässig Fleisch konsumieren», wie Hagenbuch, Präsident von Swiss Beef, sagt. «Es wäre wünschenswert, wenn der Konsument nur noch Fleisch von Tieren kauft, die ein leidfreies Dasein fristen konnten», so Heierli von der Tierpartei. Doch auch dies ist Wunschdenken. Der Mensch wird weiterhin so konsumieren, wie er will – und es sein Geldbeutel zulässt. «Denn wer nur ein bisschen über den Tellerrand hinausschaut, der würde niemals Fleisch aus dem Ausland kaufen», so Hagenbuch.
Zurück im Stall von Franz Hagenbuch. Er streichelt ein Kälbchen. «Ein wunderbares Tier», sagt er und füttert es.

Von Stefan Sprenger


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