Künten: Der echte Bestatter

  13.01.2017 Künten

 

 

 

Der echte Bestatter

Im Gegensatz zur beliebten Fernsehserie «Der Bestatter» hat Marco Diem es in seinem Arbeitsalltag mit echten Todesfällen zu tun. Er erzählt, weshalb er den Beruf liebt und im Ausgang trotzdem niemandem erzählt, als was er arbeitet.

Er sitzt neben Särgen und Urnen. Bücher mit Titeln wie «Papa, wo bist du?» stehen auf dem Fenstersims. Seine Augen leuchten. Denn hier im grossen Raum der Bestattungsfirma erzählt er von seinem Beruf. Und das ist nicht irgendeiner, sondern sein  Traumberuf. Wenn Marco Diem seinen Alltag schildert, dann sagt er «Verstorbener» statt «Leiche». Statt «einsargen» sagt er «einbetten». Und das mit Grund: «Eine sanfte Sprache ist wichtig. Darauf achte ich.» Er möchte die Verstorbenen mit Respekt behandeln. «Pietätvoll», sagt er immer wieder.

Marco Diem ist Bestatter. Ein echter. Nicht so wie Mike Müller in der Fernsehserie. Diese Sendung schaut Marco Diem übrigens sehr gerne. «Auch wenn nicht ganz alles der Realität entspricht», sagt er mit einem Augenzwinkern. Marco Diem ist 25 Jahre alt. «Ich bin wohl einer der jüngsten Bestatter.» Schon immer habe ihn der Tod interessiert. Den Ausschlag gegeben hat aber ein unschönes Erlebnis: «Es war vor sieben Jahren, als eine gute Kollegin von mir Selbstmord begangen hat.» Er und andere Freunde durften von ihr Abschied nehmen. «Aber sie war gar nicht schön hergerichtet. Ich fand, dass man jemand Verstorbenes nicht so behandeln darf.» Er entschloss sich, dass er selber Bestatter werden möchte. Um es besser zu machen.

Wünsche erfüllen

Vier Jahre lang hat er auf eine Anstellung als Bestatter gewartet. Bewarb sich überall, wo er konnte. Fuhr Lastwagen, um Geld zu verdienen. Dann, endlich, erhielt er den positiven Bescheid der «Badener Bestattungen» in Wettingen. Am 1. Januar 2014 trat er die Stelle an. Und der Beruf hat ihn nicht enttäuscht. «Jeder Todesfall hat mir gefallen. Natürlich nicht, weil jemand gestorben ist, sondern weil ich mehr Erfahrung sammeln konnte.» Im kommenden Herbst will Marco Diem den Fachausweis in der Tasche haben. «Das ist das Ziel.»

Dem Künter gefällt es, die Wünsche der Verstorbenen und der Angehörigen zu erfüllen. Gibt es einen Todesfall, bekommen er und seine Kollegen einen Anruf. Marco Diem und ein weiterer Bestatter fahren dann zum Todesort. Das ist in den meisten Fällen ein Spital, ein Altersheim oder ein Privathaus. Manchmal kommen aber auch Einsätze bei Unfällen auf der Strasse oder auf einem Bahngleis oder Ähnliches vor. Marco Diem und sein Kollege überführen den Verstorbenen in die firmeneigenen Räume. Er wäscht den Verstorbenen und bettet ihn ein. Das heisst: Er wird in den Sarg gelegt. Das Waschen ist notwendig, weil sich durch den Tod alle Muskeln des Menschen lösen. «Darum ist die hygienische Versorgung wichtig.»

Wenn nötig, nimmt Marco Diem am Verstorbenen Kosmetik vor. «Viele wünschen sich, dass ihre Frau, Mutter oder Tochter hübsch gemacht in den Sarg kommt.» Wenn der oder die Verstorbene beispielsweise einen Aufprall hinter sich hat, versorgt er die Wunde und behandelt sie bei Bedarf kosmetisch nach. «Niemand soll geschockt sein vom Anblick eines Verstorbenen.» Das ist ihm wichtig.

Bestatter und Psychologe

Teil seiner Arbeit sind auch Trauergespräche mit den Angehörigen. «Wir besprechen Trauerkarte, die Beerdigung, eine allfällige Kremation, den Sarg, die Urne, die Todesanzeige und so weiter.» Oft hört er auch einfach nur zu. Lässt die Angehörigen erzählen, sie trauern. «Ich bin auf gewisse Weise auch Psychologe», sagt er.

Am liebsten von allen Arbeiten führt er die Rekonstruktion von Verstorbenen durch. «Zum Beispiel, wenn sich jemand erschossen hat. Da ist man entstellt. Meine Aufgabe ist es dann, zu nähen und mit Kosmetik zu arbeiten.» Es sei natürlich sehr traurig, dass sich ein Mensch auf diese Art aus dem Leben verabschiede. «Aber ich möchte mit meiner Arbeit den ­Angehörigen einen erträglichen Abschied ermöglichen. Das ist das Schöne daran.» Oft komme diese Arbeit ­jedoch nicht vor. «Nur etwa bei zehn Prozent muss ich rekonstruieren.»

Erlebt und gesehen hat Marco Diem schon einiges. Regelmässig muss er auch in der Nacht ausrücken. Dann sind es oft Todesfälle zu Hause oder Polizeifälle. Am Tag habe er aber weitaus mehr Einsätze. Wird denn am Tag mehr gestorben? Nein, am Tag merkten die Leute einfach eher, dass jemand gestorben ist, erklärt Diem.

Keine Angst vor dem eigenen Tod

Der tagtägliche Umgang mit dem Tod macht ihm nichts aus. «Der Tod ist für mich Normalität.» Angst vor seinem eigenen hat er deshalb nicht. «Irgendwann passiert es halt. Ich mache mir darüber nicht allzu viele Gedanken.» Sein Credo ist, dass man jeden Tag sein Leben so geniessen soll, als wäre es sein letzter. Wichtig sei, dass er in der Freizeit Abstand vom Beruf gewinnen kann. «In einem solchen Job muss man das strikt trennen.»

Marco Diem erzählt im Ausgang nicht mehr, als was er arbeitet. «Ich fühle mich durch die vielen Fragen gestört, auch wenn ich natürlich verstehen kann, dass es andere interessiert.» Die beiden meistgestellten Fragen seiner Gesprächspartner: 1. Hattest du schon Babys und Kinder? 2. Hattest du schon Selbstmorde? «Ich kann beide Fragen mit Ja beantworten», erklärt Diem sachlich.

Manchmal nimmt ihn ein Todesfall besonders mit. «Wir Bestatter sind ja auch ganz normale Menschen mit Gefühlen.» Etwa, als er einen Familienvater abholen musste. Und ihm die kleine Tochter ins Ohr flüsterte, dass er gut auf ihren Papi aufpassen solle.

Tod lässt sich nicht planen

Marco Diem liebt seinen Beruf. Trotz oder gerade wegen der starken Emotionen. «So traurig eine Situation manchmal ist, so intensiv spüre ich  die Dankbarkeit der Angehörigen.»
Jeder Tag als Bestatter ist anders. «Der Tod lässt sich nicht planen. Manchmal haben wir fünf Todesfälle am Tag, manchmal nur einen.» Was sicher ist: Wenn das Telefon klingelt, macht Marco Diem sich auf den Weg. «Um einem verstorbenen Menschen die letzte Ehre zu erweisen.»

-- Lisa Stutz


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