Muri: Der ehemalige Gerichtspräsident auf hoher See

  23.06.2017 Muri

Die Tage in Valencia waren fantastisch. Was für eine schöne Stadt. Nachdem ich den Anlasser meines Motors einer Revision unterzogen hatte, funktionierte dieser wieder zufriedenstellend, sodass ich meinen Weg fortsetzen konnte.

Noch im Hafen hisse ich die Segel, blicke nochmals zurück an den Anlegesteg, wo Bekanntschaften winkend die «Pelikan» verabschiedeten. Das Wetter war gut und der Wind blies aus Norden bis Nordosten. Ideal für die von mir gewünschte Route. Ich wollte nun bis Tarifa am Atlantik durchfahren, eine Reise von ungefähr fünf Tagen und vier Nächten. Die Stunden vergingen unbemerkt. Die «Pelikan» pflügte sich ihren Weg durch die aufgewühlte See, das Wetter war sonnig und die Crew hatte eine fantastische Zeit an Bord. Ehrlich gesagt fehlen mir etwas die Worte, um treffend zu schildern, wie wundervoll privilegiert und glücklich ich mich fühlte. Im Vordergrund auf dieser Etappe stand sicher die fesselnde Schönheit der Erde mit all den Zaubereien, die uns die Natur zu bieten hat.
Blutrot und riesig stand der aufgehende Mai-Vollmond über dem Horizont am schwarzen Nachthimmel, umarmt von leuchtenden Sternen, die sich im bleiern und sanft zu atmen scheinenden Meer spiegeln. «Pelikan» lief sanft durch das Wasser, hinterliess nur eine kleine Spur von bläulich leuchtender Biolumineszenz im Wasser. Es schien, als verschmelze die Erde mit dem Universum und «Pelikan» schwebte mittendurch. Ich sass lange mit einer Tasse heissem Tee und in eine Decke gepackt auf der Ankerwinsch auf dem Vorschiff, ich hätte nicht überwältigter, nicht glücklicher sein können.

Was «Pelikan» betrifft, bin ich mit meiner Wahl zufrieden. Sie ist ein langkieliges Segelschiff und läuft sehr kursstabil, auch unter Autopilot bei rauen Bedingungen, was insbesondere nachts wichtig ist. Bisher reagierte das Schiff in aller Regel äusserst gutmütig und verzieh mir mitunter auch schon den einen oder anderen Fehler. Es wurde in den Achtzigern in einer Werft in Hamburg aus Stahl erbaut und von den Voreignern zur hochseetüchtigen Reisegefährtin ausgebaut. Altersbedingt unternahm ich gewisse Modernisierungen und hab jetzt ein sehr gemütliches Zuhause auf See. Es fehlt mir an nichts, «Pelikan» verfügt Mittschiffs über einen geräumigen Sitzbereich, einen gut dimensionierten Navigationstisch zum Arbeiten und eine Küche mit Petrolofen mit zwei Brennern und einem Backofen zum Kochen auf See kardanisch aufgehängt, sodass er bei Seegang oder Krängung schwingen kann. Achtern befindet sich das Cockpit, der Motor mit sehr grossen Dieseltanks, viel Stauraum, das Badezimmer und eine Doppelkoje zum Schlafen. Im Vorschiff habe ich ein kleines Zimmer mit zwei Betten, welches bequem Platz bietet.


Mein Weg führte mich der spanischen Küste entlang, um allerdings das Kollisionsrisiko mit Fischern insbesondere nachts so gering wie möglich zu halten, hielt ich zum Ufer einen respektvollen Abstand, sodass ich kaum je Sicht auf das Land hatte. Bloss nachts waren teilweise orange Lichter am Horizont zu erkennen. Je näher ich mich Gibraltar näherte desto mehr verdichtete sich der Verkehr. Entsprechend hielt ich nachts einen kurzes Schlafintervall von zehn Minuten ein, was auf die Dauer dann doch ziemlich anstrengend war. In der Dämmerung des vierten Abends kam am Horizont der grosse Fels – «the rock» wie sie ihn in Gibraltar nennen – in Sichtweite. Eigentlich wollte ich erst mit der Morgensonne Gibraltar passieren, da mir verschiedene erfahrene Segler davon abrieten, diese Passage nachts zu machen. Insgesamt kam ich jedoch seit Valencia viel schneller vorwärts als geplant, sodass ich um Mitternacht direkt vor der Einfahrt zu der Bucht nach Gibraltar war.

15 Stunden Schlaf am Stück

Da das Mittelmeer infolge Kondensation ständig Wasser verliert, wird dieses durch den einzigen Ozeanzugang – eben die Strasse von Gibraltar – ausgeglichen, sodass eine konstante Strömung von Westen nach Osten vorherrschend ist. Da ich sechs Stunden zu früh war, hatte ich die Strömung gegen mich, und obwohl «Pelikan» sieben Knoten Fahrt durch das Wasser machte, sackte meine Geschwindigkeit auf bloss zwei Knoten Fahrt über Grund ab. Infolge des grossen Geschwindigkeitsunterschiedes zwischen «Pelikan» und der Berufsschifffahrt war es trotz mehrfachen Versuchen nicht möglich, an der Einfahrt von Gibraltar vorbei in die Strasse von Gibraltar zu segeln. Die Lichter der Siedlungen und der Industrieanlagen an Land verunmöglichten es nahezu, das Land von den fahrenden und ankernden Schiffen zu unterscheiden. Mein Kollisionswarngerät gab alle paar Sekunden einen schrillen Alarm ab, an Schlaf war nicht zu denken. Grundsätzlich hätte ich als Segelboot den Vortritt, dieses Vortrittsrecht ist jedoch eher theoretischer Natur und ich musste meinen Kurs stetig an den Verkehr anpassen, vorbei an riesigen Frachtern, Highspeed-Fähren, Fischern und Kursschiffen. «Abenteuer gesucht und Abenteuer gefunden», schmunzle ich in mich hinein.
Als sich im Osten die goldene Morgensonne aus dem Dunst erhob, hatte ich Gibraltar immer noch querab und langsam machten sich der Schlafmangel und die dauerhafte Anspannung bemerkbar. Kurzerhand entschied ich mich, nicht Tarifa, sondern Gibraltar anzulaufen. Vorbei an einer Vielzahl von ankernden Frachtern bahnte ich meinen Weg in Richtung Marina «Ocean Village», welche insbesondere unter Weltumseglern sehr bekannt ist. Ziemlich k.o. vertäute ich «Pelikan» am Anleger, gönnte mir nach dem Einklarieren ein kühles Bier im Cockpit und schlief nach einer kühlen Dusche die nächsten fünfzehn Stunden durch. Ausgeschlafen, zufrieden mit mir und der Welt und etwas stolz auf die absolvierte Etappe machte ich mich am folgenden Tag auf, diesen interessanten, geschichtsträchtigen Ort zu erkunden.


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