Kickboxen: Sieger über seine Beeinträchtigung

  27.12.2016 Kampfsport

Zurück ins Leben

Der Final der Kickbox-Schweizer-Meisterschaft im Vollkontakt ist gerade vorbei. Es gab technische Probleme. Der Computer zeigt Devin Richner als Schweizer Meister an. Der 21-Jährige hat nach Punkten jedoch verloren. Sein Coach Rocco Cipriano und Beat Richner – Mitglied von Kickboxing Wohlen, Interimspräsident des Schweizerischen Kickboxverbandes und Devin Richners Vater – suchen das Gespräch mit dem Kämpfer. Die Entscheidung, ob er den Titel annimmt oder nicht, wird ihm überlassen. Devin Richner denkt nach – und überlässt den Titel seinem Kontrahenten. Er wird von allen Seiten gelobt, dass er Grösse gezeigt hat. «Ich bin unglaublich stolz auf Devin», so sein Vater Beat Richner.
«Ich wollte den Titel unbedingt», so Devin Richner. «Doch nächstes Jahr ist wieder eine Schweizer Meisterschaft. Ich setze mich extrem für Gerechtigkeit ein. Ich will den Weg eines Kriegers leben.» Diese Aktion fasst die Person von Devin Richner gut zusammen. Ein sympathischer junger Mann, der für den Kampfsport lebt. Und kämpfen musste er, von der ersten Sekunde seines Lebens an. Nach der Geburt stirbt Devin Richner. Die Ärzte müssen ihn wiederbeleben. Es gelingt ihnen, doch nicht ohne Komplikationen. «Es hat einige meiner Hirnzellen dabei erwischt», so Richner. «Dadurch kapiere ich langsamer als meine Mitmenschen.» Diesen Eindruck erhält man nicht, wenn er über sein Handicap spricht. Ruhig und unkompliziert erklärt er, dass bei ihm teilweise die falsche Gehirnhälfte das Denken übernimmt und dass ihm die Ärzte gesagt haben, dass es mit der Zeit besser werde.
Der lebendige Baum
Richner arbeitet im Gartenbau. Der Weg dorthin war nicht leicht. Er muss zuerst die Heilpädagogische Schule besuchen. Danach kann er eine Anlehre im Gartenbau bei der Integra in Wohlen machen, bevor er eine normale Arbeitsstelle findet. «Es war keine einfache Zeit. Dank dem Kickboxen habe ich gelernt durchzuhalten, auch wenn mir etwas schwerfällt.» Dieser Wille fällt seinem Chef auf. Richner sagt: «Ich bin mir nicht zu schade, mir die Hände schmutzig zu machen oder die Knie aufzuschürfen.» Er wurde von seinem Chef gelobt, weil dieser noch nie einen Mitarbeiter gesehen hat, der so viele Äste tragen kann. «Die Kundin nannte mich einen lebendigen Baum, der Chef eine Legende», sagt Richner lächelnd. Neben dem Gartenbau hätte er sich auch eine Ausbildung im Volg an seinem Wohnort Möriken vorstellen können. «Mir gefällt es, mit Menschen zu arbeiten. Ich denke, dass ich gute soziale Fähigkeiten habe. Ich kann auf jeden Menschen zugehen.» Sein Trainer Rocco Cipriano stimmt dem zu. «Devin ist toll. Im Dojo lieben ihn alle.» Sein Vater sagt: «Devin ist ein aussergewöhnlicher und lieber Mensch.»
Die Vergangenheit loslassen
Richner ist 13 Jahre alt, als ihn sein Vater zum ersten Mal ins Kickboxtraining nach Wohlen mitnimmt. Zuerst spielt er dort nebenbei nur Fussball. Mit der Zeit möchte er das Kickboxen selbst ausprobieren. Es gefällt ihm. «Im Kickboxen kann ich auf jeden Erfolg stolz sein. Ich kann mir
sagen, dass ich das alleine geschafft habe.» Das trifft auf ihn besonders zu. «Bei komplizierten Techniken hatte ich zu Beginn meine Mühe.» Mittlerweile ist Richner Träger des braunen Gurtes.
Richner, der von sich sagt, er ka­piere nur langsam, hinterlässt einen sehr aufgeweckten Eindruck. Er erklärt, dass er merke, dass sein Verständnis mit der Zeit besser werde, so wie es die Ärzte vorausgesagt hatten, und ergänzt, wie sehr ihm das Kickboxen dabei geholfen hat. «Besonders mein Trainer Rocco Cipriano war mir immer eine grosse Hilfe. Er kümmert sich um die Probleme von jedem Mitglied des Vereins. Das schätze ich sehr.»
Als ihn sein Vater nicht mehr ins Training mitnehmen konnte, ging er alleine. Zuerst mit dem Töffli, später mit dem Roller, jetzt mit dem Auto. Über die Autoprüfung spricht er nicht gern. Bei der praktischen Prüfung ist er einmal durchgefallen. «Wenn ich ein Ziel wie die Autoprüfung habe, bin ich voll darauf fokussiert», sagt er. «Danach lasse ich es hinter mir. Ich will nicht an der Vergangenheit festhalten, sondern damit abschliessen. Sonst nimmt es mich nur mit.» Weise Worte, die sich viele Menschen zu Herzen nehmen könnten. Auch Cipriano ist oft beeindruckt von seinem Schüler. «So wie er tickt, ist er oft der bessere Mensch als viele andere.»

Josip Lasic

 


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